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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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möchte es nicht mehr missen.« Die Frau des Reverends lächelte. »Ich hoffe, Sie werden sich bald einleben. Die Gegend ist wunderschön, und wenn Sie die Menschen besser kennen, werden Sie feststellen, dass sie im Grunde herzlich sind. Wir Engländer tun uns schwer mit Fremden, obwohl wir überall im Empire eigentlich selbst die Fremden sind.«
    Charlotte verspürte eine spontane Zuneigung zu dieser lebensklugen, freundlichen Frau.
    »Und wie macht sich Emily?«
    »Sehr gut. Sie ist sehr fleißig und an allem interessiert.« Charlotte beugte sich vor. »Gleich wollen wir ihren Vater überraschen. Wir haben ein kleines vierhändiges Stück einstudiert.«
    » … jedenfalls besser als die anderen.« Es war nur das Bruchstück eines Satzes, das flüchtig an Charlottes Ohr drang.
    »Er wird entzückt sein«, entgegnete die Pfarrersfrau und warf einen missbilligenden Blick zu der Gruppe von Damen hinüber, die in schrilles Gelächter ausbrachen, sagte aber nichts.
    Als Charlotte ihrem Blick folgte, bemerkte sie, wie sich die Frau des Bürgermeisters rasch abwandte.
    Sie stand auf, stellte ihr Glas ab und entschuldigte sich bei Mrs. Morton. »Ich muss noch meine Noten holen.«
    »Natürlich, meine Liebe.«
    Draußen im Flur atmete sie tief durch. Es war denkbar, dass sie die Worte falsch auslegte; sie hatte nicht einmal den ganzen Satz gehört. Und doch spürte sie die Erinnerung wie einen bitteren Geschmack auf der Zunge, die Erinnerung an öffentliche Demütigungen und hämische Blicke, an getuschelte Sticheleien und geflüsterten Spott. Einen Moment lang stand sie wieder im Salon der von Benkows, unbemerkt, noch einen Fuß auf der Schwelle, und hörte, wie eine Dame sagte: »Eine Schande um den Jungen, ein so schneidiger Offizier, er könnte es weit bringen, sofern er es sich nicht durch eine unkluge Heirat verdirbt …«
    Charlotte verdrängte den Gedanken daran, presste die Lippen aufeinander, ging durch den Korridor in die Eingangshalle und die Treppe hinauf, fort von den Stimmen der Frauen, die ihr noch in den Ohren hallten.
    Die Gäste waren entzückt von Charlottes Darbietung am Klavier. Als sie zu Ende gespielt hatte, ließ sie Emily kommen, und sie nahmen nebeneinander auf dem Hocker Platz. Ihre Schülerin enttäuschte sie nicht, spielte fehlerfrei und erntete stürmischen Beifall. Charlotte atmete erleichtert auf, als Emily auf ihr Zeichen hin vom Hocker aufstand und vor den Gästen einen Knicks machte. Dann wanderte ihr Blick zu Sir Andrew, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und verhalten lächelte.
    »Was für ein reizendes Kind«, begeisterte sich die junge Mrs. Edwards und erhob sich applaudierend. »Und so musikalisch! Schade, dass ihre Mutter das nicht erleben kann.«
    Eine Sekunde lang trafen sich Charlottes und Sir Andrews Blicke, und sie sah, wie seine Augen starr wurden. Nur seine Brust, die sich heftig hob und senkte, verriet seine Gefühle. Im Raum war es still geworden.
    »Ich freue mich sehr, Emily unterrichten zu dürfen«, sagte Charlotte geistesgegenwärtig. »Sie besitzt eine rasche Auffassungsgabe und ein feines Gehör.«
    Sie führte Emily zu einem Stuhl und holte ihr ein Glas Saft und ein Stück von der Biskuittorte, die es zum Nachtisch gegeben hatte. »Das hast du gut gemacht.«
    Emily lächelte schüchtern und führte die Kuchengabel anmutig zum Mund.
    Danach wurde die Stimmung wieder gelöster, während Ed wards seine Frau in eine Ecke führte und eindringlich mit ihr sprach.
    »Was für ein Fauxpas. Es ist die erste Abendgesellschaft seit dem Tod seiner Frau«, bemerkte eine leise Stimme neben Charlotte. Mrs. Morton war diskret an ihre Seite getreten.
    Charlotte schaute rasch in die Runde und erwiderte ebenso leise: »Es ist ganz natürlich, dass er um seine Frau trauert. Aber …«, sie suchte nach den richtigen Worten, »… sie darf in diesem Haus nicht einmal erwähnt werden. Emily scheint darunter zu leiden.«
    Mrs. Morton wiegte den Kopf. »Er ist sehr empfindlich, was das betrifft, und möchte seine Tochter vor allem Kummer bewahren. Das müssen Sie verstehen.«
    Dann kam Mrs. Morton wieder auf Indien zu sprechen und lenkte damit vom Thema ab.
    Als sich alle Gäste verabschiedet hatten und Emily von Nora ins Bett gebracht worden war, kehrte Sir Andrew noch einmal in den Salon zurück. Er schenkte sich einen Whisky ein, während Charlotte abwartend am Fenster stand und überlegte, ob sie sich zurückziehen konnte.
    »Darf ich Ihnen ein Glas Wein

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