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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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seinem Mundwinkel ein winziges Lächeln zu sehen.
    »Ich habe mir nie wirkliche Hoffnungen gemacht, seine Frau zu werden. Er war der Träumer, nicht ich.«
    Die Worte kosteten sie viel Kraft, auch wenn sie der Wahrheit entsprachen. Verwundert erkannte sie, wie vertraut sie plötzlich mit ihrem Arbeitgeber sprach.
    »Nun, Sie werden Emily weiter unterrichten. Allerdings weise ich Sie ausdrücklich darauf hin, dass ich in meinem Haus keine wie auch immer gearteten Herrenbekanntschaften dulde, die Anlass zu Gerede geben könnten. Sollte es dazu kommen, wird sich Emily von ihrer Gouvernante trennen müssen.«
    Charlotte nickte. »Ich danke Ihnen. Ich werde mich jetzt zurückziehen.«
    Ihr würdevoller Abgang strengte sie derart an, dass ihr auf der Treppe die Knie zitterten. Sie musste stehen bleiben und sich am Geländer abstützen. Irgendwie schaffte sie es in den ersten Stock, und als die Tür zum Turm hinter ihr zufiel, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
    An diesem Abend schrieb sie doch einen Brief an Friedrich.
    Sehr geehrter Herr von Benkow,
    ich danke für Ihre Zeilen, muss Sie aber ersuchen, mir nicht mehr zu schreiben. Ich habe eine gute Stellung in England gefunden und möchte nicht mehr an die für uns beide so unerfreulichen Ereignisse in Berlin erinnert werden.
    Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für die Zukunft und verbleibe hochachtungsvoll,
    Charlotte Pauly
    Während sie den Brief faltete, fiel eine Träne darauf. Sie wischte sie entschlossen fort. Doch als sie Susan den Brief nach unten brachte, damit sie ihn gleich am nächsten Tag in die Post gab, war es, als durchschnitte sie damit den letzten Faden, der sie an die Heimat band.

15
    Oktober 1890, Liverpool
    Der Regen peitschte auf das Pflaster, in dem sich die gelben Lichter der Straßenlaternen spiegelten, und der Wind rüttelte ungestüm an den Fensterrahmen der Droschke, als begehrte er Einlass. Tom Ashdown bezahlte, stieg aus und lief die wenigen Schritte bis zur Haustür, wo er energisch anklopfte.
    Mary Lodge öffnete ihm persönlich. »Kommen Sie rasch herein, das Wetter ist furchtbar.« Sie hielt ihm die Tür auf und nahm ihm, was er verwundert konstatierte, selbst Hut und Mantel ab.
    »Schauen Sie nicht so, Mr. Ashdown, uns sind die Dienstboten nicht davongelaufen. Mein lieber Mann hat nur darauf bestanden, sie allesamt auszutauschen, und an diesem wichtigen Abend empfange ich unsere Gäste lieber selbst.«
    »Auszutauschen?«
    Sie nickte. »Nicht nur das. Er hat auch die Familienbibel und sämtliche Fotoalben weggeschlossen. Und dann …«, sie beugte sich vor und legte diskret die Hand vor den Mund, »hat er auch noch Mrs. Pipers Gepäck durchsucht. Höchstpersönlich. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie peinlich mir das war, aber er erklärte, es seien nötige Sicherheitsvorkehrungen.«
    Tom musste ein Lachen unterdrücken. Oliver Lodge war eine eindrucksvolle Persönlichkeit, ein begabter Physiker und Universitätsprofessor, der sich nicht nur mit der Erforschung elektromagnetischer Wellen beschäftigte, sondern auch vor einiger Zeit zur Society gestoßen war.
    Mary Lodge öffnete die Tür zum Salon und kündigte ihn an, ehe sie sich zurückzog. Der Hausherr kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Sein grauer Bart und der ergraute Haarkranz ließen ihn deutlich älter als vierzig erscheinen.
    »Mein lieber Ashdown, wie schön, dass Sie sich trotz des unwirtlichen Wetters herbemüht haben. Myers ist schon da. Ich habe Ihnen dort drüben einen Platz zum Schreiben vorbereitet. Hoffentlich haben wir alles zu Ihrer Zufriedenheit arrangiert.« Auf einem Tischchen waren Schreibunterlage, Papier, Federhalter, Tintenfass und Löschpapier sorgfältig angeordnet, davor stand ein bequemer Stuhl.
    »Vielen Dank.«
    Im Raum war es warm und gemütlich, im Kamin brannte ein anheimelndes Feuer. Tom begrüßte Fred Myers von der Society und schaute sich dann suchend um.
    »Wo ist die Hauptperson des Abends, wenn ich fragen darf?«
    »Ich habe Mrs. Piper angewiesen, in ihrem Zimmer zu bleiben, bis sich alle eingefunden haben und wir mit der Sitzung beginnen können«, erklärte Lodge. »Fred und ich haben ihren Trancezustand in den vergangenen Wochen ausgiebig geprüft.«
    In diesem Augenblick klopfte es, und Mrs. Lodge trug ein Tablett mit Erfrischungen für Tom herein, das er dankend entgegennahm.
    »Du kannst Mrs. Piper in zehn Minuten herunterbitten«, sagte Lodge zu seiner Frau und schloss die Tür hinter ihr.
    Tom hob die Hand.

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