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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Wort einfiel, »wie die Marterwerkzeuge Christi. Das hat Papa mir erklärt. Und es wachsen Früchte dran, die man Maracuja nennt.«
    Sie führte Charlotte einmal durchs Gewächshaus und schloss dann behutsam wieder die Tür hinter ihnen. Charlotte blickte zu der großen Ulme hinüber, die ihre ausladenden Äste über den Rasen wölbte und im Sommer gewiss einen wunderbaren grünen Baldachin bildete. An einem der kräftigen unteren Äste hing eine Schaukel.
    »Möchtest du?«
    Emily sprang hinauf und stieß sich kraftvoll ab. Charlotte sah zu, wie sie schaukelte, doch ihr Blick wanderte über sie hinweg zum Waldsaum, wo Emily ihre Mutter zu sehen geglaubt hatte. Zum ersten Mal bemerkte sie das schmiedeeiserne Tor, das in die Mauer eingelassen war, die den Garten vom Wald trennte.
    »Sehen Sie nur, Fräulein Pauly, wie hoch ich schaukeln kann!«
    »Ich habe mir dabei immer vorgestellt, ich könnte bis in den Himmel fliegen«, sagte Charlotte versonnen.
    »Ja, genau, das mache ich auch!«
    Als Emily schließlich absprang, stand Charlotte immer noch da und schaute zu dem Tor hinüber. Dann riss sie sich aus ihrer Versunkenheit und wandte sich an das Mädchen. »Wohin führt das Tor? Es sieht irgendwie geheimnisvoll aus.«
    »In den Wald.« Emilys Zögern war deutlich zu spüren, der Übermut plötzlich verschwunden. »Nicols Field heißt er.« Emily drehte sich um, als wollte sie weitergehen.
    »Kann man dort spazieren gehen?«
    »Ja. Aber ich mag ihn nicht.«
    Charlotte verstand das Signal und fragte nicht weiter, weil sie Emily nicht wehtun wollte.
    »Sieh mal, da oben ist mein Turmzimmer. Von dort aus habe ich einen wunderschönen Ausblick.«
    Emily hielt den Kopf gesenkt, und Charlotte spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. Was habe ich getan?, fragte sie sich. War sie mit dieser Frage schon zu weit gegangen? Auf einmal kamen ihr Zweifel an ihren eigenen Motiven für die forschenden Fragen, und das war keine angenehme Erfahrung. Sie war vor allem hier, um Emily zu unterrichten; das war ihre wichtigste Aufgabe. Und doch wusste sie, dass das Mädchen litt und dass sich dahinter nicht nur die verständliche Trauer um die Mutter verbarg, sondern etwas Dunkleres, das sie nicht verstand. Noch nicht.
    Sie wollten gerade um die Ecke des Hauses biegen und ihre Runde beenden, als der Kies in der Auffahrt knirschte und offenbar ein Wagen vorfuhr.
    »Ob das Papa ist?«
    »Hätte Wilkins ihn nicht vom Bahnhof abgeholt?«
    »Doch.« Emily schaut sie fragend an. »Darf ich nachsehen?«
    »Lauf nur.«
    Das Mädchen lief zur Vorderseite des Hauses, und Charlotte hörte, wie eine Männerstimme sie begrüßte. Sir Andrew. Er musste eine Mietdroschke genommen haben.
    Sie folgte Emily und sah, wie der Hausherr den Kutscher bezahlte, bevor dieser den Wagen wendete und davonfuhr. Charlotte wollte gerade auf ihn zugehen und ihn begrüßen, als er sich zu ihr umdrehte.
    Sein Blick war eisig.
    »Ich möchte Sie in meinem Arbeitszimmer sehen. Sofort.«
    Charlotte eilte nach oben, legte Mantel und Mütze ab und ordnete vor dem Frisierspiegel ihre Haare. Ihr Herz schlug bis zum Hals, sie konnte kaum schlucken.
    Was hatte das zu bedeuten? Sie hatte sich doch nichts zuschulden kommen lassen. Oder hatte er auf irgendeinem Weg von ihren Nachforschungen erfahren? Beklommen fiel ihr ein, mit wie vielen Menschen sie über seine verstorbene Frau gesprochen hatte: mit Miss Finch, Nora Burke, der alten Frau auf dem Friedhof in Dorking, Mrs. Evans, der Pfarrersfrau … Sie biss sich auf die Lippen, holte tief Luft und verließ das Zimmer.
    Er erwartete sie vor dem Kamin, eine Zigarre in der einen und ein Glas Brandy in der anderen Hand.
    »Nehmen Sie bitte Platz.«
    Sie setzte sich und wagte kaum, ihn anzusehen.
    »Als Sie sich bei mir beworben haben, konnten Sie ausgezeichnete Referenzen vorweisen.«
    Charlotte schaute überrascht auf. »Ja, Sir.«
    »Darauf habe ich mich verlassen.«
    »Mit Verlaub, es gab auch keinen Grund, sich nicht darauf zu verlassen. Was darin steht, entspricht der Wahrheit«, entgegnete sie selbstsicher.
    »Ich spreche nicht von Ihren Verdiensten als Lehrerin. Mit Ihren Leistungen bei Emily bin ich durchaus zufrieden – sie macht gute Fortschritte.«
    Worauf wollte er hinaus?, fragte sie sich fieberhaft.
    »Wie Sie wissen, habe ich einige Tage in London verbracht. Dabei habe ich auch den britischen Botschafter in Berlin getroffen, der gerade Urlaub in der Heimat macht.« Er sah sie prüfend an, doch sie hielt seinem Blick

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