Der verbotene Fluss
stand. »Wir kamen ins Gespräch. Dabei erwähnte ich zufällig, dass ich eine Gouvernante eingestellt habe, die früher in Berlin tätig war.«
Charlotte holte tief Luft und hoffte, dass er die pochende Ader an ihrem Hals nicht bemerkte. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass er sie für ihre Vergangenheit zur Rede stellen würde.
»Haben Sie mir etwas zu sagen?«
Sie begegnete seinen kühlen blauen Augen. »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, Sir.«
Er trank seinen Brandy aus und stellte das Glas mit einem hörbaren Laut auf den Tisch. Dann knipste er bedächtig die Spitze der Zigarre ab, zündete sie mit einem Streichholz an, wobei er sie langsam über der Flamme drehte, und nahm den ersten Zug. Durch den Rauch schaute er Charlotte an.
»Fräulein Pauly, kennen Sie Leutnant Friedrich von Benkow?«
… Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke und dein Bild im Herzen bewahre …
Sie verscheuchte die Erinnerung und nickte. »Ja, er war der älteste Sohn der Familie, für die ich gearbeitet habe. Ich habe seine jüngeren Schwestern unterrichtet.«
»Und einen Skandal verursacht«, versetzte Sir Andrew scharf.
Charlotte straffte den Rücken. Haltung war jetzt wichtiger als alles andere. »Das ist nicht wahr. Wenn dem so wäre, hätte die Familie mir nicht diese guten Referenzen ausgestellt.«
»Ganz Berlin hat darüber gesprochen, dass der Sohn des Hauses, der Erbe des Familienvermögens, die Gouvernante seiner Schwestern heiraten wollte«, erwiderte Sir Andrew mit Nachdruck.
Charlotte erhob sich. Diesen Anschuldigungen konnte sie unmöglich im Sitzen begegnen.
»In der Tat, das wollte er – und hat dieses Vorhaben leider nicht sehr diskret behandelt.«
»Wollen Sie sich etwa herausreden?«
Charlotte spürte, wie ihre Kampflust erwachte. Wenn sie ihre Stelle behalten und bei Emily bleiben wollte, musste sie sich seinem Angriff stellen.
»Sir Andrew, bitte hören Sie mich an. Danach können Sie über mich urteilen, aber lassen Sie mich zuerst meine Version der Geschichte schildern.«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort, zog an seiner Zigarre und nickte dann. »Gut. Aber fassen Sie sich kurz.«
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Vergangenheit sie jetzt und hier einholen würde, doch sie würde kämpfen. Und wenn sie das Haus danach verlassen musste, würde sie es erhobenen Hauptes tun.
»Ich habe vier Jahre für die Familie von Benkow gearbeitet. Dabei ist es zu einer – Annäherung zwischen dem ältesten Sohn Friedrich und mir gekommen. Er bewies mir seine Zuneigung mit Worten und Briefen, und ich … Ich habe seine Gefühle erwidert, wobei wir nie gegen den Anstand verstoßen haben. Irgendwann fasste er den Entschluss, mich zu heiraten. Ich habe ihn gewarnt, dass seine Eltern entsetzt sein und eine solche Ehe nicht gutheißen würden, doch er – er war nicht davon abzubringen. Ich bat ihn, einige Zeit abzuwarten und seine Gefühle zu prüfen. Er hat sein Wort nicht gehalten, sondern einem Freund davon erzählt. Bald tauchten die ersten Gerüchte auf. Die von Benkows sind einflussreich, sein Vater ist bei Hofe tätig. Er bekam Wind davon, dass sein Sohn angeblich die Gouvernante …« Sie holte Luft. »Nun, es kam zu einer unerfreulichen Szene zwischen ihm und seinen Eltern. Sie zwangen ihn, eine längere Auslandsreise anzutreten, und kündigten mir. Nach dieser Geschichte war es mir unmöglich, weiter in der Hauptstadt zu arbeiten. Ich bat die Familie von Benkow, mir wenigstens eine Anstellung im Ausland zu ermöglichen, indem sie mir gute Referenzen gaben, was sie auch taten.« Sie schaute Sir Andrew herausfordernd an. »Jedes Wort, das in meinem Zeugnis steht, entspricht der Wahrheit. Ich schätze Emily als Schülerin und lebe gern in diesem Haushalt. Als Lehrerin werde ich weiter mein Bestes tun, sofern Sie mir erlauben, meine Arbeit fortzusetzen. Mehr habe ich nicht zu sagen, Sir.«
Sie spürte ein Brennen in den Augen und biss die Zähne zu sammen, um nicht zu weinen. Sir Andrew schwieg, doch sie spürte seinen Blick, der sie wie ein Skalpell zu durchdringen schien.
»Darf ich mich jetzt zurückziehen?« Sie machte sich auf den Weg zur Tür.
»Ich wüsste gern, was der junge Herr dazu gesagt hat.«
Sein Stich traf präzise, das musste sie ihm lassen.
»Er hat sich seinen Eltern gefügt, wie man es von einem pflichtbewussten Sohn erwartet.«
»Moralisch einwandfrei, wenn auch nicht gerade mutig.«
Charlotte wandte sich um und glaubte, in
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