Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
Vom Netzwerk:
Geschichte geworden.«
    »Da hast du recht. Ich war auch immer froh, wenn sie ein gutes Ende genommen hatte, obwohl ich natürlich wusste, wie sie ausgeht.«
    Dann saßen sie schweigend beieinander, und Charlotte merkte, dass das Mädchen ruhiger geworden war. Vielleicht hatte es ihr gutgetan, sich vor etwas zu gruseln, das ein Gebilde der menschlichen Fantasie war und nichts mit ihrer Wirklichkeit zu tun hatte.
    Schließlich stand Emily auf und trat ans Fenster. Sie schob den Vorhang beiseite und schaute hinaus, als erwartete sie, in der Dunkelheit etwas zu sehen. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie beinahe enttäuscht aus. Charlotte schwieg.
    Tom Ashdown gönnte sich noch einen Whisky an der Bar des Star and Garter Hotel in Dorking. Nach einem langen Tag wie diesem konnte er sich nicht einfach ins Bett legen. Am Morgen hatte er noch zu Hause gefrühstückt, doch das schien bereits lange her zu sein. Der Auftrag, mit dem er hergekommen war, und die Begegnung mit der Familie waren eine ungewohnte Erfahrung, und er hoffte, dass man ihm seine Unerfahrenheit nicht angemerkt hatte. Als er vor der Tür von Chalk Hill gestanden hatte, war sein erster Reflex gewesen, wieder in den Wagen zu springen und die Flucht zu ergreifen. Wie anmaßend von ihm, den Fall eines Kindes untersuchen zu wollen, das vermutlich einen Arzt oder die Liebe seines Vaters brauchte, gewiss aber keinen Geisterjäger!
    Nun aber bereute er sein Kommen nicht mehr, denn die Geschichte faszinierte ihn zusehends. Das Haus war elegant und gepflegt, der Hausherr zuvorkommend, die Tochter aufgeweckt, die Dienstboten waren geschickt und diskret – von außen be trachtet schien alles vollkommen zu sein. Und doch hatte er es vom ersten Augenblick an gespürt – die Anmutung eines Ge heimnisses, unausgesprochener Dinge, einer Dunkelheit, die hinter dieser ganzen Wohlanständigkeit lauerte.
    Der Whisky wärmte ihn von innen, und er bestellte noch einen. Eigentlich war es nicht seine Art, ohne Gesellschaft zu trinken – das hatte er sich abgewöhnt, nachdem er in den Wochen nach Lucys Tod eines Morgens auf dem Wohnzimmerboden aufgewacht war, als Daisy gerade anfing, das Zimmer aufzuräumen. Damals hatte er sich vorgenommen, nie mehr als ein Glas Whisky zu trinken, wenn er allein war, doch solange er nicht in seinem Zimmer trank, verstieß er auch nicht gegen seine Prinzipien.
    Er zog an der Pfeife und schaute sich im Gastraum des Hotels um, in dem auch Einheimische verkehrten. Sein Blick fiel auf einen Sessel neben dem Kamin. Tom trug sein Glas hinüber und ließ sich darin nieder, bevor er die Beine bequem ausstreckte.
    »So, jetzt brennt es wieder richtig. Zu Besuch hier?«, fragte ein älterer Mann mit Tweedmütze, der gerade Holz nachgelegt hatte.
    »Ja. Aus London«, antwortete Tom. »Darf ich Ihnen ein Glas spendieren?«
    Der Mann tippte sich an die Mütze. »Derek Smith. Da sag ich nicht nein, Sir.«
    Er holte sich ein halbes Pint an der Theke und lehnte sich an den Kamin, als hätte er Lust auf einen Plausch.
    »Nette Gegend«, sagte Tom.
    »Falsche Jahreszeit. Sie sollten im Frühjahr kommen, dann ist es schöner. Aber am Wochenende wimmelt es vor Londonern. Wird unsereinem fast schon zu viel, aber die Wirte freuen sich.«
    »Ach, ich mag es ganz gern einsam«, erwiderte Tom lächelnd und zog an seiner Pfeife. »Ich habe geschäftlich in Westhumble zu tun.«
    »Tatsächlich, Sir?«
    »Ja, bei Sir Andrew Clayworth.«
    »Oh, der Abgeordnete«, erwiderte Mr. Smith. »Ein sehr angesehener Herr hier in der Gegend.«
    »Ich hatte das Vergnügen, auch seine Tochter kennenzulernen. Ein reizendes Mädchen.«
    »Meine Frau sagt, sie sei entzückend. Ist früher öfter mit ihrer Mutter in den Ort gekommen. Sie sind in die Teestube gegangen.«
    Tom zog eine Augenbraue hoch. »Lady Clayworth ist gestorben, wie ich hörte.«
    »Eine furchtbare Geschichte. Im Mole ertrunken. Wir konnten es alle nicht glauben, als wir davon hörten.« Er schaute Tom verunsichert an. »Verzeihung, Sir, ich sollte nicht so viel reden. Sehe hier nur nach dem Rechten. Als Mädchen für alles, sozusagen.«
    »Keine Sorge, Mr. Smith, ich freue mich, wenn ich nicht allein hier sitzen muss. Auf Reisen kann es recht ungemütlich sein, wenn man niemanden kennt.«
    Mr. Smith nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas und fuhr mit neuem Eifer fort: »Und niemand konnte sich erklären, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Natürlich führte der Mole viel Wasser, aber wer hier wohnt, weiß Bescheid

Weitere Kostenlose Bücher