Der verbotene Garten
Everett gestattete ihm, mich bei der Hand zu nehmen und zu ihrer schmalen Couch im Salon zu führen, wo er sich so dicht neben mich setzte, dass ich sein warmes Bein durch all meine Röcke hindurch spürte.
Er trug einen vornehmen Anzug, wie im Museum. Die Manschetten schimmerten weià unter den Ãrmeln des Gehrocks hervor, der Kragen war frisch und neu, die schwarze Halsbinde perfekt geknotet. Er hatte gerötete Wangen, einen ordentlich gestutzten Bart und roch, als hätte ihm der Barbier eben erst die Schläfen mit Makassaröl benetzt und den Hals mit Spiritus.
Grinsend schilderte er Miss Everett die Einzelheiten unserer Begegnung. »Ihre Miss Fenwick ist eine ganz Gerissene«, sagte er. »Sie hat sich ein hübsches Spielchen mit mir erlaubt â ihre Zauberkräfte eingesetzt, damit ich nicht weglaufe, und mir dann Ihre Karte in die Hand gedrückt.«
»Zauberkräfte?« Miss Everett sah mich erstaunt an.
»Oh ja«, erwiderte Mr. Wentworth. »Ich hing ihr förmlich an den Lippen. Ich wage die Behauptung: Reichte ich ihr in diesem Augenblick meine Hand, wüsste sie mir mein gesamtes Schicksal zu sagen.«
»Also, Miss Fenwick«, sagte Miss Everett mit einem Lächeln, »da haben Sie mir offenbar etwas verheimlicht. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie derlei Talent besitzen.«
Ich errötete und schwieg, da ich nicht wusste, ob Miss Everett es gutheiÃen würde, wenn ich Mamas Zigeunerwissen bei Mr. Wentworth angewandt hätte.
Als er das Treffen mit mir arrangiert hatte, war Miss Everett auÃer sich vor Freude gewesen und hatte mir immer wieder versichert: »Falls er dich erwählt, darfst du dich sehr glücklich schätzen.«
Sie konnte ihre Begeisterung auch jetzt kaum verhehlen. Ihre Lippen hatten sich zu einem Lächeln verzogen, das gar nicht mehr weichen wollte, und bei jedem seiner Worte nickte sie.
SchlieÃlich sagte sie: »Entschuldigen Sie mich bitte, Mr. Wentworth, ich muss nach dem Tee schauen.«
»Aber sicher, Emma«, erwiderte er und sah mich erwartungsvoll an.
Als sie fort war, drängte er: »Willst du deine Gabe nun mit mir teilen, mein Mädchen? Deine Hellsichtigkeit wird doch sicher auch zum Handlesen nutze sein.« Er streckte mir die Hände entgegen: »Sag, was siehst du?«
Bei Damen links, bei Herren rechts , hatte Mama immer gesagt.
Ich zog meine Handschuhe aus, nahm seine rechte Hand in meine und legte sie mir in den SchoÃ. Mit der anderen Hand strich ich über seine Handfläche und fuhr dann mit den Fingern jede einzelne Linie nach. Wenn das stimmte, was Miss Everett über ihn sagte, würde ich alles in meiner Macht Stehende tun, ihn zu gewinnen.
»Als würde mich ein Engel berühren«, seufzte er.
»Pscht, Sie dürfen nicht sprechen.«
Seine Hand war groà und breit, die Finger waren kräftig. Die Linien lagen tief eingegraben, der Daumennagel war angeknabbert, und wäre Mr. Wentworths Haut nicht so weich gewesen, hätte ich seine Hand für die eines Arbeiters gehalten. Der Mittelfinger war mit Tinte befleckt, dort hielt er vermutlich die Feder.
»Sie haben einen ausgeprägten Geschäftssinn«, begann ich. »Sie verstehen sich auf Zahlen und Worte und achten sehr auf Details. Es heiÃt, das gereiche Ihnen zu Ehre und Vorteil.«
Er nickte mir zu, seine Augen wurden immer gröÃer. »Weiter, weiter.«
Ich streichelte den wulstigen Hügel unter dem Daumen und schaute ihm dabei ins Gesicht. Seine Hand war an der Stelle geschwollen, und als ich den Muskel knetete, wimmerte er leise.
»Ich sehe, dass Sie ein Mann von Appetit sind«, sagte ich grinsend.
Er biss sich auf die Lippe. »In der Tat.«
»Und Sie schätzen womöglich einen guten ⦠Brandy?«
»Auch das stimmt«, flüsterte er und schüttelte ungläubig den Kopf.
Ich hätte mich noch weiter auf dem schmalen Grat zwischen Mamas Kenntnissen und meinen Erinnerungen bewegt, doch da kehrte Miss Everett zurück. Als sie den Teewagen in den Salon schob, lieà ich seine Hand los.
»Lassen Sie sich bitte nicht stören«, sagte sie und goss uns Tee ein.
Mr. Wentworth zwinkerte mir zu, wie um mir zu bedeuten, dass das Geschehene unter uns bleiben sollte.
Bei Tee und Kuchen erzählte er von seinen Reisen und den unerbittlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen in der Stadt. Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu und
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