Der verbotene Kuss
über Felicitys Äußerungen nach und hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Sie hatte nicht gesagt, sie wehre sich nicht mehr gegen ihn, weil sie ihn begehre, obwohl er wusste, dass sie Verlangen nach ihm hatte. Sie hatte auch nicht gesagt, sie werde ihm in jeder Hinsicht eine gute Gattin sein. Sie hatte gesagt, sie habe vor, das zu sein. Als habe sie sich damit abgefunden, ihre Pflicht erfüllen zu müssen. Oder als sei sie es leid, sich weiterhin gegen ihn zu sträuben.
Das jedoch war es nicht, was er wollte. Er wollte keine Frau, die nur ihre Pflichten erfüllte. Er wollte, dass sie ihn liebte und seine Gemahlin war, weil sie das sein wollte, aber nicht, weil sie den Eindruck hatte, in eine Falle gegangen zu sein. Ian erkannte, dass er ihre Nachgiebigkeit zu einem sehr hohen Preis erkauft hatte, und diese Erkenntnis belastete sein Gewissen.
22. KAPITEL
Wenn Worte nicht genügen, müssen Taten sprechen.
Lord X in der Evening Gazette vom 30. Dezember 1820
Morgens schickte Ian einen Dienstboten zu Felicity, der ihr ausrichtete, der Besuch bei den Pächtern könne nicht stattfinden. Er konnte es nicht ertragen, sie zu sehen. Am vergangenen Abend hatte sie zu viel gesagt, so viel von ihrer Vergangenheit preisgegeben, dass er sein Verhalten in ganz neuem Licht sah.
In den nächsten drei Tagen grübelte er über sein Verhalten, genauer gesagt, über seine Verfehlungen nach. Er mied es, in die Nähe seiner Frau zu kommen. Um Himmels willen, was hätte er zu ihr sagen sollen, um sein arrogantes Betragen zu entschuldigen? Allein der Gedanke daran belastete ihn sehr. Also war er nicht willens, ihren Anblick ertragen zu müssen.
Einen Tag vor Silvester erkannte er, dass er sich in einem Dilemma befand. Übermorgen sollte er nach London zurückkehren. Was sollte er mit Felicity machen?
Rastlos ging er im Arbeitszimmer auf und ab, blieb manchmal stehen und starrte aus dem Fenster. Als er die Person, um die alle seine Gedanken kreisten, unten im Park stehen und sich Notizen machen sah, fragte er sich, was sie vorhabe. Wollte sie Verbesserungen im Park vornehmen? Oder wollte sie ihn planieren und einen Teich anlegen lassen? Bei seiner geliebten Frau war so etwas unvorhersehbar.
Er wandte sich vom Fenster ab und starrte leeren Blicks in das eindrucksvolle Arbeitszimmer. Mahagonimöbel und Samtvorhänge und alte Bronzen. Ian hasste den Anblick.
Aber nicht nur der Einrichtung wegen. Mein Gott, der massive, hässliche Schreibtisch! Wie oft hatte Ian über die Kante gekrümmt gelegen, während sein Vater ihn verprügelte! Die Stockschläge hatten ihm nicht mehr wehgetan als die, die er in Eton bekommen hatte, ihn jedoch in seinem Stolz gekränkt. Er hatte die Vorstellung gehasst, dass sie ihm von dem Menschen verabreicht wurden, dem er am meisten gefallen wollte. Er war entrüstet gewesen, weil man ihn gegen seinen Willen genötigt hatte, sich zu fügen. Mehr noch, einige Male hatten die Stockschläge des Vaters dazu geführt, dass er geweint hatte, und in diesen Augenblicken hatte er sich gedemütigt gefühlt.
Für ihn war es stets eine Sache des Stolzes gewesen, nicht zu weinen. Für seinen Vater war es stets eine Sache des Stolzes gewesen, ihn zum Weinen zu bringen. Die Mutter hatte gewollt, dass Ian einige Tränen vergoss, damit die Züchtigung aufhörte. Jordan hatte gesagt, es sei dumm, die Tränen zurückzudrängen. Aber jedes Mal, wenn Ian die degradierende Züchtigung überstanden hatte, ohne zu weinen, war das für ihn ein Triumph gewesen.
Dadurch hatte er gelernt, dass man mit Tätlichkeiten nicht weiter kam, Manipulation und strategisches Denken jedoch die Schlüssel für das waren, was man haben wollte. Die Züchtigungen durch den Vater hatten nämlich nie etwas anderes erreicht, als seinen Widerstand zu verstärken.
Nun hatte die Gattin ihn etwas anderes gelehrt. Es gab andere Züchtigungen als nur die, bei denen Gewalt angewendet wurde, und sie waren genau so zerstörerisch. Unwissentlich hatte sie ihm das in mannigfacher Weise beigebracht. Ihre Tränen vor Lady Worthing waren offenbar echt gewesen. Ihr Entsetzen über die von Ian ausgesprochenen Drohungen, sie dazu zu bringen, ihn zu heiraten. Mehr noch, die Art, wie sie ihm nach der Trauung den Zugang zu ihrem Bett verwehrt hatte. „Wenn du mich zur Ehe zwingen willst, dann wirst du mich auch dazu zwingen müssen, mit dir zu schlafen“, hatte sie gesagt. In seiner Überheblichkeit hatte er jedoch ihre berechtigte Warnung ignoriert.
Stattdessen hatte er
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