Der verbotene Kuss
einzustellen.
Nun, er, Ian, war nicht genötigt, sich eines anderen Lebenswandels zu befleißigen. Er gab vor, Saras versteckte Andeutung nicht begriffen zu haben, und erwiderte: „Es ist schwer, in einem fremden Haus Schlaf zu finden, ganz gleich, wie bequem man es hat.“
„Ich glaube nicht, dass Miss Taylor durch das Haus am Schlafen gehindert wurde.“
„Oh? Vielleicht war sie dann einfach noch vom Ball zu aufgeregt, um einschlafen zu können. Bei jungen Damen ist so etwas üblich.“
„Besonders, wenn sie beleidigt wurden.“
Ian setzte eine heuchlerisch verwirrte Miene auf. „Beleidigt? Welche Person, die ihre Sinne beisammen hat, würde Miss Taylor beleidigen?“
„Du weißt sehr gut, wen ich meine. Dein Benehmen ihr gegenüber hat sie sehr aus der Fassung gebracht.“
Ian bekam Schuldgefühle. Verdammt noch mal! Er hatte keinen Grund, sich schuldbewusst zu fühlen. Er hatte nichts getan, das Miss Taylor nicht verdient hatte. „Ich versichere dir, ich habe sie nicht schlecht behandelt.“ Als Sara etwas äußern wollte, hob er Schweigen gebietend die Hand. „Das ist eine persönliche Sache, und selbst dein Hang, dich mit anderer Leute Angelegenheiten zu befassen, gibt dir nicht das Recht, dich einzumischen! Also halte dich aus dieser Sache heraus!“
„Wenn du gesehen hättest, wie . . .“
„Sara!“
„Du hast Miss Taylor zum Weinen gebracht!“ fuhr Sara unbeirrt fort. „Die beherzte, kleine Miss Taylor! Als wir sie fanden, weinte sie, obwohl sie sich tapfer bemühte, es vor uns zu verhehlen.“
Ian konnte sich nicht vorstellen, dass sie irgendeiner Sache wegen weinte, und der Gedanke, dass seine Küsse sie zu diesem Gefühlausbruch veranlasst haben mochten, war einfach lächerlich. „Rede weiter! Du bist offensichtlich entschlossen, darüber zu reden. Heraus damit! Und wer ist ,wir‘?“
„Lady Brumley und ich. Wir haben Miss Taylor gesucht, weil ihr Verschwinden uns beunruhigt hatte.“
„Dich hat das vielleicht beunruhigt. Ich bezweifele, dass Lady Brumley mehr empfunden hat als nur den brennenden Wunsch, etwas zu erfahren, über das sie klatschen kann.“ Ein Hauch von Röte überzog Saras Wangen. „Das mag stimmen. Gleichviel, wir haben Miss Taylor in ihrem Zimmer am Schreibtisch sitzen sehen. Ihre Wangen waren feucht und ihre Augen von den Tränen gerötet.“
Ian unterdrückte die wachsenden Gewissensbisse. Miss Taylor musste falsche Tränen geweint haben. Sie musste Sara und Lady Brumley im Korridor gehört und sogleich Tränenfluten produziert haben, um die beiden Damen zu beeindrucken. „Miss Taylor muss sehr schnell zu verletzen sein, wenn sie gleich in Tränen ausbricht, nachdem ein Mann sie geküsst hat.“
Saras Miene drückte Zorn aus. „Du weißt sehr gut, dass es nicht nur um deine Küsse geht. Ich habe gehört, in welch beschämender Weise du ihr unterstellt hast, sie hätte dich zu deinen Avancen ermutigt.“
Ian war nicht willens, sich in dieser Hinsicht zu rechtfertigen. Sara kannte nicht die ganze Geschichte und sollte sie auch nicht kennen.
„Und ich denke, du hast mehr getan, als Miss Taylor nur zu küssen.“
Wäre das der Fall gewesen, hätte er sich bestimmt daran erinnert. „Zum Teufel, was meinst du damit?“
„Du weißt, was ich meine. Du hast dir Freiheiten erlaubt. Du hast deine Hände da hingelegt, wo sie nicht hingehören. Deshalb hat Miss Taylor dich geohrfeigt.“
Finster schaute Ian die Freundin an. „Das hat sie dir erzählt?“
„Sie sagte, du seist zu weit gegangen. Und vergiss nicht, dass ich gesehen habe, wie du sie in den Armen gehalten hast. Ich kann mir daher sehr gut vorstellen, dass du sie so berührt hast, wie du das nicht hättest tun dürfen.“ Aufgeregt stand Sara auf.
Auch Ian war wütend und beeindruckt. Miss Taylor wusste sehr gut, wie sie eine Situation zu ihrem Vorteil verkehren konnte. Aber noch hatte er die Fakten auf seiner Seite. „Hat Miss Taylor tatsächlich geäußert, dass ich mir bei ihr Freiheiten erlaubt und sie so berührt habe, wie ich das nicht hätte tun dürfen?“
„Nicht genau. Sie war entsetzt, Lady Brumley und mich zu sehen. Daher wollte sie anfänglich überhaupt nicht mit uns reden. Aber ich konnte sie, da sie so außer sich war, nicht allein lassen. Außerdem empfand ich es als meine Pflicht als Gastgeberin, herausfinden zu müssen, was du getan hattest, wodurch Miss Taylor so verstört war. Ich habe sie daher gefragt, ob du dich ihr gegenüber unschicklich aufgeführt hättest.
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