Der verbotene Kuss
geäußert hatte.
Sie mied seinen Blick und lehnte sich an die schrecklich harte Rückseite des Sofas. Sie hatte Schlimmeres verdient. Man hätte sie auf eine Streckbank spannen sollen. Was für ein Dummkopf sie gewesen war, als sie angenommen hatte, sein Charakter drücke sich vornehmlich in seinen liederlichen Angewohnheiten aus.
„Wieso hat Lord X dich zu seinem Feind gemacht?“ wandte Gideon sich an den Freund. „Vielleicht solltest du unter deinen anderen Freunden nach jemandem suchen, dem du die Kehle durchschneiden musst.“
„Reden wir nicht darüber, dass jemandem die Kehle durchgeschnitten werden muss“, tadelte Jordan den Schwager. „Du denkst schon wieder wie ein Pirat, Gideon, und nicht wie ein zivilisierter Mensch. “
Gideon warf seiner Frau einen amüsierten Blick zu, den ihr Bruder nicht sehen konnte. „Manchmal ist die Denkungsart von Piraten wirkungsvoller.“
„Aber nur, wenn man hängen will“, erwiderte Jordan hitzig.
„Genug davon!“ Ian hob die Hände. „Vielen Dank, meine Freunde, für all die guten Ratschläge, aber ich behandele diese Sache auf meine Weise. Und ich versichere dir, Jordan, dass ich mich mit Lord X befassen werde, ohne jemandem die Kehle durchzuschneiden. In Zukunft müssen wir darüber nicht mehr reden.“
Wenngleich der Viscount beim Sprechen Felicity keines Blicks gewürdigt hatte, wusste sie, dass seine Äußerungen ihr galten. Grundgütiger Himmel, jetzt saß sie wirklich in der Tinte. Nach diesem Abend würde er sie mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, zu vernichten trachten. Sie erschauerte. Sie war dumm gewesen, sich mit Lord St. Clair anzulegen, besonders im Hinblick auf ihre Zukunft und die ihrer Brüder. Sie hätte die ständig vom Papa geäußerte Redewendung, man kämpfe, wenn man den Kopf auf den Schultern behalten wolle, nicht mit einem Knüppel gegen eine Kanone an, beherzigen sollen.
Obwohl sie sich jetzt verzweifelt wünschte, den Kopf auf den Schultern behalten zu können, befürchtete sie jedoch, dass es bereits zu spät war, um der Kanonenkugel noch auszuweichen.
9. KAPITEL
Gerüchten zufolge wusste eine bestimmte Herzogin das Geburtstagsgeschenk ihres Gatten nicht zu schätzen. Nachdem sie das Korsett gesehen hatte, dazu bestimmt, einem Mann den Zugriff auf den Körper einer Frau zu verwehren, warf sie es ins Kaminfeuer und informierte ihren Gatten dann, er könne andere Männer besser von ihr fern halten, wenn er öfter zu Hause bliebe.
Lord X in der Evening Gazette vom 13. Dezember 1820
Felicity eilte die breite Treppe zu ihrem Zimmer hinauf und fragte sich, wie sie die letzte Stunde überlebt habe. Der Viscount, ein Kriegsheld? Ein Lügner, ja, was seine Miss Greenaway betraf, und ganz gewiss ein berechnender Schuft, was Frauen anging. Aber dennoch ein Held.
Dieser Gedanke hatte sie in den peinlichen Minuten gequält, die dem Geplänkel zwischen ihr und Lord St. Clair gefolgt waren. Ungeachtet der Bemühungen der Countess of Worthing, das Gespräch auf ein unverfängliches Thema zu lenken, war die Unterhaltung recht einsilbig gewesen, oft von verlegenem Schweigen unterbrochen.
Felicity hätte fast vor Erleichterung aufgeschrien, als der Count of Worthing vorgeschlagen hatte, die Herren sollten sich in sein Arbeitszimmer begeben, um sich die Blaupausen für das Schiff anzusehen, das er vor kurzem erworben hatte. Noch eine Minute länger in Lord St. Clairs Anwesenheit, und Felicity hätte ihren Gefühlsaufruhr zu erkennen gegeben. Sie war lange genug im Spielsalon geblieben, um sicher sein zu können, dass die Damen sie nicht mehr für Lord X' Komplizin hielten, und hatte sich dann mit der Entschuldigung, zu Bett gehen zu wollen, zurückgezogen.
Nicht, dass sie schlafen konnte. Sie krampfte die Hand um das Treppengeländer. Wie konnte sie schlafen, wenn ihr Lord St. Clairs sie verdammender Blick nicht aus dem Sinn ging? Sie wusste, sie hatte seine Verachtung verdient, ganz gleich, wie sehr sie versuchte, sich etwas anderes einzureden.
Bemüht, nicht in Tränen auszubrechen, klemmte sie das Buch fester unter den Arm und rannte die letzten Stufen hinauf, weil sie es eilig hatte, in ihr Zimmer zu kommen. Der Viscount würde die Beleidigung nicht tatenlos hinnehmen. Dafür kannte Felicity ihn viel zu gut. Oh, wie hatte sie zulassen können, dass die Dinge sich derart weit entwickelten? Wie hatte sie zulassen können, dass sie von ihren Gefühlen, und nicht von ihrem Verstand geleitet worden war? In ihrer prekären
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