Der verbotene Kuss
bestimmt etwas getan, um sich an ihm zu rächen. Um Himmels willen, er hatte mit Miss Taylors Zuneigung gespielt und dann den Eindruck erweckt, dass Felicity leichtfertig war. Sara hätte ihn nicht nur aus dem Haus werfen lassen müssen. Sie hätte ihm auch die Ohren lang ziehen müssen. Er konnte sich auf etwas gefasst machen, wenn sie später mit ihm allein war. Dann würde sie ihm gehörig die Meinung sagen.
Ein Punkt irritierte sie jedoch. Warum hatte Ian darauf bestanden, das Pseudonym nicht zu lüften? Miss Taylor hatte geäußert, er habe etwas zu verbergen, aber Sara fragte sich, ob er einen anderen Grund dafür haben mochte, der romantischer Natur war. Diese Möglichkeit fand sie ungeheuer aufregend.
„Sie müssen das alles schrecklich finden“, sagte Felicity, die offenbar Saras konzentrierte Miene falsch interpretiert hatte. „Sie ahnen nicht, wie Leid es mir tut, dass ich Sie beide in Bezug auf Lord St. Clair hintergangen habe. Das beschämt mich immer noch. Aber damals kannte ich Sie beide nicht. Ich konnte mir nicht denken, dass Sie vielleicht begreifen würden, was wirklich passiert ist. Und ich wusste nicht, wie nett Sie sind, und wie anders als die meisten . . .“ Sie hielt inne, und ihre Verlegenheit war mehr als offenkundig.
„Die meisten was?“ wollte Sara wissen.
Felicity schluckte. „Die meisten Frauen von Stand. Alle behandeln mich herablassend.“ Sie wandte den Blick ab. „Sie haben es gern, wenn ich sie mit Klatsch oder Geschichten über Papa unterhalte, doch wenn ich damit fertig bin, lassen Sie mich links liegen und kümmern sich nicht darum, dass ich mich ihrer Söhne und Ehemänner erwehren muss.“
„So wie ich“, äußerte Sara leise.
„Nein! Das ist nicht dasselbe. Ungeachtet dessen, was ich Sie am Abend des Balls glauben machen wollte, hat Lord St. Clair mich nicht belästigt. Nicht wirklich. Es war meine Schuld, dass ich . . . dass ich ..“
„Dass Sie auf ihn hereingefallen sind? Dass Sie glaubten, er meine es ehrlich? Nein, das war nicht Ihre Schuld.“
„Aber ich habe ihn durch meine Artikel dazu veranlasst“, wandte Felicity ein.
„Sie hatten jeden Grund, sie zu schreiben“, meinte Sara. „Das verarge ich Ihnen nicht. Auch ich würde mich darüber ärgern, wenn meine Gefühle von einem herzlosen Mann mit Füßen getreten werden.“
„Trotzdem, das ist nicht dasselbe“, sagte Felicity leise. „Dasselbe wie was?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und senkte den Blick. „Das war nicht so wie bei den anderen Männern. Wie bei denen, die ich durch Papa kennen gelernt habe.“ Scharf sog Sara die Luft ein. „Was haben sie Ihnen angetan?“
„Oh, nichts sehr Schreckliches!“ antwortete Felicity hastig. „Ein unerwünschter Kuss hier, ein Betatschen da, als ich älter geworden war. Ich . . . ich war elf Jahre alt, als ich Papa zu seinen Förderern begleitete und anfing, für ihn Notizen zu machen.“ Ein schwaches Lächeln erschien um ihre Lippen. „Er hatte eine furchtbare Handschrift. Meistens konnte er selbst sie nicht lesen. Und mir gefiel es, mit ihm in all die prächtigen Häuser zu gehen.“ Ihr Lächeln schwand. „Das heißt, bis ich herausgefunden hatte, wie die Leute, die dort leben, sind.“
„Doch bestimmt nicht alle“, warf Emily ein.
„Oh nein! Nur einige der Männer. Im Allgemeinen waren es die älteren Söhne, die mich, als ich alt genug war, um für sie von Interesse zu sein, unterhalten wollten, wenn Papa mit ihren Eltern seine Entwürfe besprach. Aber meistens bin ich mit ihnen klargekommen. Und unser Lakai hat mir gezeigt, wie ich ihnen das Knie dahin rammen muss, wo es besonders wehtut.“
„Wie nett von ihm“, meinte Sara und freute sich darüber, dass es Dienstboten gab, die junge Damen beschützten.
„Es waren die Väter, die mir die meisten Sorgen machten. Ich wusste, es war nicht klug, sie so zu behandeln wie ihre Söhne. Also musste ich einfallsreicher sein, um sie mir vom Hals halten zu können.“
„Um Himmels willen, wo waren die Ehefrauen dieser Männer?“ fragte Sara zornig. „Und wo waren die Mütter der jungen Männer? Haben sie ihren Söhnen denn nicht beigebracht, dass man junge Damen, die zu Gast sind, nicht belästigen darf?“
„Frauen haben die Tendenz, die Augen vor so etwas zu verschließen. Oder sie haben noch schlimmere Beweggründe. “ Felicity hatte das in ausdruckslosem Ton geäußert, doch Sara sah den Schmerz, den Miss Taylor zu verbergen trachtete, in deren Miene. „Der
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