Der verbotene Ort
seit dem Tag zuvor keinen Augenblick mehr allein gelassen hatten, sowie einige unbekannte Gesichter. Vlad blieb noch ein paar Tage. Er hatte seine schwarzen Haare sorgfältig gekämmt und zusammengebunden. Für gewöhnlich kaum zu Gefühlsergüssen in der Lage, schloss Adamsberg sie alle in die Arme, sagte, dass er wiederkommen werde –vratiču se –, dass sie Freunde für ihn seien – prijatelji. Danicas Trauer wurde dadurch gelindert, dass sie nicht wusste, wen von den beiden Männern sie mehr vermissen würde, den Tänzer oder den Verführer. Vlad sprach ein letztes »Plog«, und Adamsberg und Veyrenc gingen hinunter zum Bus, der sie nach Belgrad fahren würde. Mit dem Flugzeug ging es dann weiter nach Paris, am Nachmittag würden sie dort sein. Vladislav hatte ihnen die allernötigsten Sätze auf ein Blatt Papier geschrieben, damit sie sich auf dem Flughafen verständigen konnten. Veyrenc murmelte auf dem Weg vor sich hin, er trug einen Leinenbeutel, den Danica mit Proviant und Getränken in einer solchen Menge gefüllt hatte, dass sie damit gut zwei Tage aushalten konnten.
»Es heißt den Ort verlassen, den Wehmut sanft umhüllt’,
Er geht dahin in Tränen, verfluchend das Geschick,
Das einen Sohn ihm gibt, der nicht sein Herz erfüllt’.«
»Mercadet meint, dass du die verschluckten ›e‹ falsch einsetzt und dass deine Reime häufig hinken.«
»Da hat er recht.«
»Etwas haut nicht hin, Veyrenc.«
»Zwangsläufig. Und das bringt den Vers aus dem Gleichmaß.«
»Ich spreche von den Hundehaaren. Dein Neffe hatte einen Hund, der einige Wochen vor dem Mord in Garches gestorben ist.«
»Tournesol, eine Hündin, die ihm zugelaufen war. Sein viertes Tier. Das ist so ein Tick der verlorenen Kinder, sie sammeln herrenlose Hunde auf. Wo ist das Problem mit diesen Haaren?«
»Man hat sie mit den Haaren verglichen, die Tournesol in der Wohnung verloren hat. Es sind die gleichen.«
»Die gleichen Haare wie welche anderen?«
Der Bus fuhr an.
»In dem Raum, wo Vaudel ermordet wurde, hat der Mörder sich in einen samtbezogenen Sessel gesetzt. Einen Louis-treize-Sessel.«
»Warum präzisierst du ›Louis-treize‹?«
»Weil Mordent Wert darauf legt – was immer auch aus ihm geworden ist. In den hat sich der Mörder gesetzt.«
»Vermutlich wollte er mal verschnaufen.«
»Ja. Und er hatte Pferdemist an den Stiefeln, von dem er hier und da ein paar Bröckchen verloren hat.«
»Wie viele Bröckchen?«
»Vier.«
»Da siehst du’s. Armel mag Pferde nicht. Als kleines Kind ist er mal von einem heruntergefallen. Er ist nicht besonders wagemutig.«
»Geht er manchmal aufs Land?«
»Er fährt fast alle zwei Monate runter ins Dorf, um seine Großeltern zu besuchen.«
»Du weißt, auf manchen Wegen im Dorf liegt Pferdemist«, sagte Adamsberg mit einer Grimasse. »Trägt er Stiefel?«
»Ja.«
»Zieht er sie auch an, wenn er spazieren geht?«
»Ja.«
Beide Männer sahen einen Moment schweigend aus dem Fenster.
»Du sprachst von den Hundehaaren.«
»Der Mörder hat welche auf dem Sessel zurückgelassen. An Samt bleibt so was gern hängen. Folglich trug er welche an seinem Hosenboden, er hatte sie geradewegs von zu Hause mitgebracht. Wenn man annimmt, dass das Taschentuch Zerk vom Mörder entwendet wurde, dann muss man dasselbe auch von den Hundehaaren annehmen.«
»Verstehe«, sagte Veyrenc mit farbloser Stimme.
»Es ist schon nicht einfach, jemandem ein Taschentuch zu entwenden, aber wie stellt man es an, Haare von seinem Hund zu bekommen? Indem man sie unter seinen Augen Stück für Stück von seinem Teppichboden aufsammelt?«
»Indem man in seiner Abwesenheit bei ihm eindringt.«
»Das haben wir überprüft. Es gibt einen Haustürcode und eine Gegensprechanlage. Nehmen wir an, der Mann wäre Zerk so vertraut gewesen, dass er seinen Code kannte. Aber danach hätte er eine zweite Tür und schließlich Zerks Wohnungstür aufbrechen müssen. Keines der Schlösser wurde gewaltsam geöffnet. Mehr noch: Unser Freund Weill und die Nachbarin von gegenüber versichern, dass Zerk nie jemanden bei sich empfing. Hat er keine Freundin?«
»Seit einem Jahr nicht mehr. Sprichst du von dem Weill vom Quai des Orfèvres?«
»Ja.«
»Was hat er mit der Sache zu tun?«
»Er wohnt im selben Haus wie dein Neffe. Sie verstanden sich gut. Man könnte meinen, es amüsierte Zerk, so dicht bei den Bullen zu wohnen.«
»Nein. Ich war es, der ihm über Weills Vermittlung diese Wohnung besorgt hat, als er nach Paris kam.
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