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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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noch immer als der Mörder von Garches. Die Farce kehrt sich gegen ihn. Jetzt brauchte er den Vater, aber nun hat er bereits alles gestanden, alles zugegeben. Entsetzt vergräbt sich Armel, ist verurteilt, zu fliehen. Ein Ausgang, den jeder halbwegs intelligente und erfahrene Mensch voraussehen konnte. Wer? Einer, der ihn seit langem kennt und der Macht über ihn hat.«
    »Sein Chorleiter«, sagte Veyrenc und stellte sein Glas hart auf den Tisch. »Germain. Der hat Macht über ihn. Ich habe ihn nie gemocht, meine Schwester auch nicht, aber Armel schluckt alles.«
    »Was meinst du?«
    »Armel ist Tenor, er sang schon mit zwölf Jahren im Chor von Notre-Dame de la Croix-Faubin. Ich habe ihn oft dorthin begleitet, ich war bei den Proben dabei. Der Chorleiter hat ihn sich unterworfen. Das ist so ein Typ.«
    »Unterworfen in welchem Sinne?«
    »Mit Wärme und mit Kälte, mit Komplimenten und mit Demütigungen. Armel ist in seinen Händen zu Wachs geworden. Und er war nicht sein einziges Opfer. Germain hielt ein gutes Dutzend unter seiner Fuchtel. Bis er nach Paris ging, dann hörte es endlich auf. Kein Notre-Dame de la Croix-Faubin mehr. Doch als Armel zum Arbeiten nach Paris kam, begann alles von vorn. Er sang die Solopartie in einer Messe von Rossini und errang damit einen richtigen kleinen Erfolg. Das hat ihn entzückt. Und so wurde er mit seinen sechsundzwanzig Jahren wiederum zu Wachs. Vor zwei Jahren hat man Germain den Prozess gemacht wegen sexueller Belästigung, und der Chor wurde aufgelöst. Und dieser Idiot von Armel war darüber auch noch tieftraurig.«
    »Sah er ihn danach immer noch?«
    »Er versichert, nein, aber ich glaube, da belügt er mich. Möglicherweise lädt der Typ ihn ein, er hört Armel gern für sich allein singen. Das schmeichelte dem Kind, das schmeichelt auch noch dem Erwachsenen. Armel fühlt sich wichtig für den Vater, dabei ist es der Vater, der ihn besitzt.«
    »Der Vater?«
    »Im religiösen Sinne. Pater Germain.«
    »Kennst du seinen wahren Namen?«
    »Nein. Wir nannten ihn nie anders.«
     
    Danglard hatte die Brigade verlassen, seinen Anzug ausgezogen und lag im Unterhemd vor dem ausgeschalteten Fernseher, pausenlos Hustenpastillen lutschend, um seine Kiefer zu beschäftigen. In der einen Hand hielt er sein Mobiltelefon, in der anderen seine Brille und sah alle fünf Minuten nach, ob denn kein Mensch ihn anrief. Fünfzehn Uhr fünf, Anruf aus dem Ausland, Vorwahl 00381. Er fuhr sich mit dem Taschentuch übers Gesicht, las die SMS: »Bin aus dem Grab heraus. Recherchieren Sie Vater Germain, Chor von N.-D. Croix-Faubin.«
    Aus was für einem Grab, großer Gott? Mit feuchten Händen tippte Danglard hastig auf seiner Tastatur, die Kehle vor Zorn wie zugeschnürt, die Muskeln vor Erleichterung erschlafft: »Warum nicht schon früher ein Wort?«
    »Kein Empfang, Zeitverschiebung« , antwortete Adamsberg. »Danach geschlafen.«
    Stimmt, sagte sich Danglard schuldbewusst. Er war ja,
    von Retancourt abgeschleppt, erst mittags gegen halb eins aus dem Keller heraufgekommen.
    »Was für ein Grab?« , gab Danglard ein.
    »Gruft der 9 von Plogojowitz. Sehr kalt. Habe aber beide Füße wieder.«
    »Die vom Cousin meines Onkels?«
    »Meine eigenen. Komme morgen zurück.«

41
     
    Adamsberg war kein sentimentaler Mensch, Gefühle streifte er mit Vorsicht, so wie die Mauersegler ein offenes Fenster nur sanft mit dem Flügel liebkosen, ohne sich hineinzustürzen, denn der Weg zurück nach draußen ist schwer. Oft hatte er tote Vögel in den Häusern des Dorfs gefunden, leichtsinnige und neugierige Besucher, die die Öffnung nicht wiedergefunden hatten, durch die sie hereingekommen waren. Adamsberg fand, dass in Liebesdingen der Mensch auch nicht viel schlauer war als ein Vogel. Und dass in allen anderen Dingen die Vögel sehr viel schlauer waren. Wie die Schmetterlinge, die nicht in die Mühle hineingeflogen waren.
    Aber der Aufenthalt in dem Grabgewölbe musste ihn geschwächt und seine Gefühlswelt erschüttert haben, denn bei dem Gedanken, Kisilova zu verlassen, wurde ihm das Herz schwer. Der einzige Ort, an dem es ihm gelungen war, neue, unaussprechbare Wörter im Kopf zu behalten, was kein geringes Ereignis für ihn war.
    Danica hatte das schöne bestickte Hemd gewaschen und gebügelt, damit er es nach Paris mitnähme. Da standen sie alle steif lächelnd vor der Krutschema, Danica, Arandjel, die Karren-Frau mit ihren Kindern, die Stammgäste des Gasthofs, Vukasin, Boško und seine Frau, die ihn

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