Der verbotene Ort
Ich wusste nicht, dass sie sich sehen.«
»Doch. Und Weill mag ihn. Er verteidigt ihn.«
»War er es, der dich gestern Vormittag angerufen hat, als man gerade deinen Pferdehuf aufwärmte? Auf deinem zweiten Telefon?«
»Ja. Er hat sich von Anfang an in die Sache reingehängt. Er fahndet nach den Drahtziehern ganz oben. Er hat mir auch dieses Telefon gegeben. Und aus meinem vor meiner Abreise das GPS herausgenommen«, fügte Adamsberg nach kurzem Zögern hinzu.
»Bedauerliche Entscheidung.«
»Plog«, murmelte Adamsberg.
»Was meinst du mit ›Plog‹?«
»Das ist ein Ausdruck von Vladislav, dessen Bedeutung je nach dem Kontext variiert. Es kann ›gewiss‹ bedeuten, ›genau‹, ›einverstanden‹, ›kapiert‹, ›gefunden‹, eventuell auch ›Quatsch‹. Es ist wie ein Tropfen Wahrheit, der fällt.«
In Anbetracht seiner Üppigkeit wurde Danicas Reiseproviant über zwei kleine Tische des Belgrader Flughafens ausgebreitet, neben mehreren Bieren und Tassen Kaffee. Adamsberg kaute sein Kajmakbrot, er scheute sich davor, seinen Gedanken weiterzudenken.
»Man muss zugeben«, meinte Veyrenc vorsichtig, »dass Weills Eingreifen die Frage der Tür mit Gegensprechanlage erklären würde. Er wohnt im selben Haus, er hat den Hausschlüssel. Er kennt Armel. Der Mann ist intelligent, raffiniert und ganz eindeutig tyrannisch, mithin geeignet, Einfluss auf einen jungen Menschen wie Armel zu gewinnen.«
»Das Türschloss von Zerk wurde nicht gewaltsam geöffnet.«
»Weill ist Polizist, Weill besitzt einen Dietrich. Ist es ein einfaches Schloss?«
»Ja.«
»Pflegte er Armel in seiner Wohnung aufzusuchen?«
»Nein, aber wir haben nur Weills Aussage. Hingegen kam es öfter vor, dass Zerk am Mittwochabend zu Weill ging, wenn der seine Tafelrunde hielt.«
»Was es um einiges leichter macht, sich ein schmutziges Taschentuch und Hundehaare zu besorgen. Aber keine Stiefel mit Pferdemist an den Sohlen.«
»Doch. Die Concierge bohnert das Treppenhaus, sie gestattet nicht, dass man mit schmutzigen Schuhen nach oben geht. Stiefel oder andere Wanderschuhe werden im Parterre abgestellt, in einem kleinen Wandschrank unter der Treppe, zu dem jeder Bewohner den Schlüssel hat. Mensch, Veyrenc, Weill ist seit über zwanzig Jahren am Quai.«
»Weill pfeift auf die Polizei, er liebt einzig die Provokation, die gute Küche und die Kunst – und auch da nicht etwa die klassischen Formen von Kunst. Warst du schon mal bei ihm?«
»Mehrmals.«
»Also kennst du diesen prachtvollen und beklemmenden Trödelladen. Man kann ihn nicht vergessen, wenn man ihn einmal gesehen hat. Erinnerst du dich an den Mann mit Zylinder und erigiertem Glied, der mit Flaschen jongliert? An die Mumie von dem Ibis? An die Selbstporträts? Das Kanapee von Immanuel Kant?«
»Des Kammerdieners von Immanuel Kant.«
»Ja, seines Dieners Lampe. An den Sessel, in dem ein Bischof gestorben ist? An die gelbe Plastikkrawatte aus New York? Inmitten von diesem ästhetischen Großbasar muss die Vernichtung der Plogojowitz-Sippe durch einen alten Paole im 18. Jahrhunderts ja geradezu Kunstwert erlangen. Wie Weill es selbst bekennt: Die Kunst ist ein schmutziges Geschäft, doch irgendjemand muss es machen.«
Adamsberg schüttelte den Kopf.
»Dieser Mann ist die Leiter hinaufgestiegen bis zur siebten Sprosse, bis zu Emma Carnot.«
»Der Vizepräsidentin des Rats?«
»Genau der.«
»Was will er von ihr?«
»Carnot hat den Präsidenten des Kassationshofs gekauft, der den Staatsanwalt gekauft hat, der den Richter gekauft hat, der einen anderen Richter gekauft hat, der Mordent gekauft hat. Seine Tochter steht in wenigen Tagen vor Gericht, sie riskiert eine hohe Strafe.«
»Scheiße. Was hat Carnot von Mordent verlangt?«
»Dass er ihr gehorcht. Mordent war es, der der Presse die Informationen zukommen ließ, um Zerks Flucht zu decken. Seit dem Morgen, an dem das Verbrechen gemeldet wurde, hat er einen groben Fehler nach dem anderen gemacht, um die Ermittlungen zu torpedieren, und schließlich hat er bei dem Sohn von Vaudel das Zeug deponiert, das mich anstelle des Mörders in den Knast bringen soll.«
»Besagte Bleistiftspäne.«
»Genau. Emma Carnot ist auf die eine oder andere Weise mit dem Mörder verbunden. Die Seite im Standesamtsregister, auf der ihre Heirat eingetragen war, ist herausgerissen. Was darauf schließen lässt, dass, wenn diese Heirat bekannt würde, es aus wäre mit ihrer Karriere. Einer der Trauzeugen wurde schon umgebracht. Den zweiten
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