Der verbotene Ort
Retancourt. »Er hat ihn entkleidet, um seine Säge zu schonen, aber er hat ihn nicht vollends entblößen können. Der Gedanke war ihm unangenehm.«
»Dann wissen wir zumindest, dass der Mörder weder Krankenpfleger noch Arzt ist«, sagte Romain. »Ich habe Hunderte von Leichen ausgezogen, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Adamsberg hatte Handschuhe übergestreift und rollte zwischen seinen Fingern eines der kleinen Erdklümpchen, die von den Stiefeln gefallen waren.
»Wir werden ein Pferd suchen«, sagte er. »Es ist Pferdemist, was da unter seinen Stiefeln klebte.«
»Woran erkennt man das?«, wollte Justin wissen.
»Am Geruch.«
»Sollen wir uns bei den Züchtern umsehen, auf den Gestüten?«, fragte Lamarre. »Auf Reitbahnen, Rennstrecken?«
»Und dann?«, sagte Mordent. »Tausende von Leuten treiben sich bei den Pferden herum. Der Mörder hat das Zeug sonst wo auflesen können, allein indem er einen Weg über Land gegangen ist.«
»Also, dann hätten wir doch schon mal was, Commandant. Wir wissen, dass der Mörder aufs Land geht. Um wie viel Uhr trifft der Sohn ein?«
»Er müsste in knapp einer Stunde in der Brigade sein. Er heißt Pierre, wie sein Vater.«
Adamsberg streckte seinen Arm aus, um einen Blick auf seine beiden Uhren zu werfen.
»Ich schicke euch um die Mittagszeit eine Ablösung. Retancourt, Mordent, Lamarre und Voisenet kümmern sich um die Bestandsaufnahme. Justin und Estalère, ihr fangt an, den persönlichen Kram zu durchforsten. Konten, Terminkalender, Notizbücher, Brieftasche, Telefon, Fotos, Medikamente und so weiter. Wen er traf, wen er anrief, was er kaufte, seine Kleidung, seine Vorlieben, was er aß. Nehmt alles auf, wir müssen ihn so genau wie möglich rekonstruieren. Dieser Alte ist nicht nur getötet, er ist zu nichts gemacht worden. Man hat ihm nicht nur das Leben genommen, man hat ihn zerstört, abgeschafft.«
Das Bild des Eisbären kam ihm plötzlich in den Sinn. Das Tier musste den Onkel ungefähr in den gleichen Zustand versetzt haben, nur sauberer. Nichts davon heimzubringen, nichts zu begraben. Und Pierre junior würde den Mörder nicht ausstopfen können, um ihn der Witwe zu überbringen.
»Ich glaube nicht, dass seine Ernährung im Moment so wichtig ist«, sagte Mordent. »Viel dringender wäre es, sich mit den Justizangelegenheiten zu befassen, die er bearbeitet hat. Und mit seiner familiären und finanziellen Situation. Wir wissen noch nicht mal, ob er verheiratet war. Wir wissen noch nicht mal, ob er das hier überhaupt ist.«
Adamsberg sah in die müden Gesichter seiner Männer, wie sie da auf ihren Plastikfliesen standen.
»Pause für alle Mann«, sagte er. »Am Ende der Straße gibt es ein Café. Retancourt und Romain halten die Stellung.«
Retancourt begleitete Adamsberg zu seinem Wagen.
»Sobald das Schlachtfeld ein bisschen gesäubert ist, rufen Sie Danglard an. Er soll sich mit dem Leben des Opfers befassen, auf keinen Fall aber mit den Probenentnahmen.«
»Klar.«
Danglards Widerwille gegen Blut und Tod war eine Tatsache, die kritiklos hingenommen wurde. Wenn möglich, bestellte man ihn erst zum Tatort, wenn die schlimmsten Spuren schon beseitigt waren.
»Was hat Mordent?«, fragte Adamsberg.
»Keine Ahnung.«
»Er ist nicht in normaler Verfassung. Er ist unaufrichtig, spuckt Gift und Galle.«
»Habe ich bemerkt.«
»Diese Manie des Mörders, alles im Raum zu verteilen, fällt Ihnen dazu etwas ein?«
»Meine Urgroßmutter. Aber das ist was anderes.«
»Sagen Sie’s trotzdem.«
»Als sie den Verstand verlor, fing sie an, alles auszubreiten. Sie ertrug es nicht mehr, wenn die Dinge sich berührten. Sie trennte die Zeitungen voneinander, die Kleider, die Schuhe.«
»Die Schuhe?«
»Alles, was aus Stoff, aus Papier und aus Leder war. Schuhe rückte sie zehn Zentimeter auseinander und reihte sie auf dem Boden auf.«
»Sagte sie, warum? Hatte sie einen Grund?«
»Einen ausgezeichneten Grund. Sie meinte, wenn diese Gegenstände in Kontakt miteinander gerieten, könnten sie Feuer fangen, von wegen der Reibung. Wie ich Ihnen ja sagte, es hat nichts mit dieser Verteilung Vaudels zu tun.«
Adamsberg hob eine Hand, um ihr anzudeuten, dass er eine Nachricht empfange, hörte aufmerksam zu, steckte das Gerät wieder ein.
»Am Donnerstagmorgen«, erklärte er, »habe ich zwei kleine Kätzchen auf die Welt geholt, die im Bauch ihrer Mutter eingeklemmt waren. Man teilt mir mit, dass die Katze wohlauf ist.«
»Schön«, sagte Retancourt nach
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