Der verbotene Ort
wahr?«
Überrascht trank Adamsberg seinen letzten Schluck Kaffee aus. Er hatte seit Veyrencs Weggang von der Brigade nicht mehr an ihn gedacht, und er war nicht gewillt, sich an die dramatischen Ereignisse zu erinnern, die sie damals gegeneinander aufgebracht hatten.* (* Fred Vargas, Die dritte Jungfrau. )
»Aber schon möglich, dass Ihnen das im Grunde egal ist«, meinte der Lieutenant.
»Sehr gut möglich. Vor allem, Lieutenant, fehlt uns die Zeit für solche Fragen.«
»Ich gehe«, sagte Mercadet und nickte. »Danglard hat eine Nachricht für Sie hinterlassen. Hat nichts mit dem Haus in Garches zu tun.«
Adamsberg las seine Seite 12 zu Ende, während er die Treppe hinunterging. Der amüsante Nolet war am Ende doch nicht so fein raus. Der Ex-Gatte hatte ein Alibi, die Ermittlung trat auf der Stelle. Adamsberg faltete befriedigt die Zeitung zusammen. An der Rezeption erwartete ihn der Sohn von Pierre Vaudel, er saß sehr gerade an der Seite seiner Gemahlin, kaum älter als fünfunddreißig Jahre. Adamsberg hielt einen Augenblick inne. Wie sollte man einem Menschen mitteilen, dass sein Vater in Stücke zerlegt worden war?
Der Kommissar umging das Problem eine ganze Weile, indem er zunächst die Personalien aufnahm und sich nach den familiären Umständen erkundigte. Pierre war der einzige Sohn, und ein spätes Kind. Die Mutter war nach sechzehn Ehejahren schwanger geworden, als der Vater vierundvierzig war. Und Pierre Vaudel Vater hatte nicht mit sich reden lassen, ja, er war erbost über diese Schwangerschaft gewesen, ohne seiner Frau den geringsten Grund dafür zu nennen. Er wollte um keinen Preis einen Nachkommen haben, es käme nicht in Frage, dass dieses Kind geboren würde, darüber diskutierte er nicht. Die Gemahlin hatte nachgegeben und war abgereist, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Sechs Monate lang blieb sie weg und trug das Kind aus, Pierre, Sohn von Pierre, kam auf die Welt. Nach fünf Jahren hatte sich der Zorn von Pierre Vater gelegt, aber er lehnte es nach wie vor ab, dass Frau und Kind in sein Haus zurückkehrten.
Das Kind Pierre hatte seinen Vater darum nur von Zeit zu Zeit gesehen, terrorisiert von diesem Mann, der es mit solcher Hartnäckigkeit zurückgewiesen hatte. Eine Furcht, die allein den widrigen Umständen seiner Geburt geschuldet war, denn Pierre Vater war umgänglich, großmütig, so sagten seine Freunde, und zärtlich, so seine Mutter. Oder zumindest war er es gewesen, denn je ungeselliger er mit der Zeit wurde, desto weniger konnte man seine Gefühle ergründen. Im Alter von fünfundfünfzig Jahren gestattete Pierre Vater nur noch sehr selten Besuche, nachdem er seine zahlreichen Freunde einen nach dem anderen aufgegeben hatte. Später hatte sich der Heranwachsende einen bescheidenen Platz bei ihm errungen, indem er samstags zu ihm kam, sich an den Flügel setzte und einige ausgewählte Stücke spielte, um den alten Herrn zu verführen. Am Ende hatte sich der junge Pierre echte Aufmerksamkeit erworben. Seit zehn Jahren, und vor allem seit dem Tod seiner Mutter, sahen sich die beiden Pierres ziemlich regelmäßig. Pierre junior war Rechtsanwalt geworden, und seine Kenntnisse waren dem Vater sehr von Nutzen bei seinen Recherchen über Justizverfahren. Die geteilte Arbeit machte die persönliche Kommunikation vermeidbar.
»Was suchte er in diesen Verfahren?«
»Zunächst einen Unterhalt. Er lebte davon. Er stellte Prozesschroniken für mehrere Zeitungen und einige Fachblätter zusammen. Dann suchte er die Fehler. Er ging wie ein Wissenschaftler vor und schimpfte in einem fort über die Luschigkeiten der Justiz. Er sagte, der Teig, aus dem das Recht gemacht sei, sei weich und formbar in der einen wie in der anderen Richtung und die Wahrheit gehe in widerlichen Spitzfindigkeiten unter. Er sagte, man könne es hören, ob ein Gerichtsurteil knirsche oder nicht, ob das Klicken sauber sei oder nicht, so wie ein Schlosser allein nach dem Gehör urteilt. Und wenn es knirschte, dann suchte er nach der Wahrheit.«
»Und fand er sie?«
»In mehreren Fällen, ja. Die postume Rehabilitierung des Mörders aus der Sologne, das war sein Verdienst. Die Freilassung von K. Jimmy Jones in den Vereinigten Staaten, die des Bankiers Trévanant, die Haftentlassung der Frau Pasnier, die Einstellung des Verfahrens gegen Professor Galérant. Seine Artikel wogen schwer. Allmählich fürchteten sich viele Anwälte davor, dass er seine Meinung publizierte. Man bot ihm Geld, er lehnte
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