Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
er Künstler.«
    »Ihr Vater?«
    »Nein, Réal. Der Selbstmörder.«
    Adamsberg entschuldigte sich noch einmal und übernahm Danglard am anderen Ende der Leitung.
    »Ich wusste es doch, dass diese Sauerei uns noch auf die Füße fallen würde«, sagte der Commandant, überaus deutlich artikulierend, woraus Adamsberg schloss, dass er einige Gläser gekippt hatte und um seine Aussprache bemüht war. Man hatte ihn wohl doch in das Zimmer mit dem Flügel hineingelassen.
    »Sie haben den Tatort gesehen, Commandant?«
    »Die Fotos, das reicht mir. Aber die Schuhe sind französische, wie gerade bestätigt wurde.«
    »Die Stiefel?«
    »Die Schuhe. Und schlimmer noch. Als ich das hier gesehen habe, war mir, als hätte man mitten im Tunnel ein Streichholz angezündet, als hätte man meinem Onkel die Füße abgeschnitten. Doch wir haben keine Wahl, ich fahre.«
    Mehr als drei Gläser, schätzte Adamsberg, und in sehr kurzer Zeit. Sechzehn Uhr etwa. Danglard würde heute zu nichts und für niemanden mehr zu gebrauchen sein.
    »Schon gut, Danglard. Machen Sie, dass Sie da wegkommen.«
    »Das sage ich Ihnen ja.«
    Adamsberg klappte sein Telefon zu und fragte sich absurderweise, wie es der Katze und den Jungen wohl gehen mochte. Er hatte Retancourt gesagt, dass die Mutter wohlauf wäre, aber eines von den kleinen Kätzchen – eines der beiden, die er geholt hatte, ein Mädchen – taumelte und magerte ab. Hatte er beim Herausziehen zu fest zugepackt? Hatte er irgendetwas kaputtgemacht?
    »Jean-Christophe Réal«, erinnerte Pierre mit Nachdruck, als spürte er, dass der Kommissar nicht von allein auf den Weg zurückfinden würde.
    »Der Künstler«, bestätigte Adamsberg.
    »Er, ja, er hatte mit Pferden zu tun, er lieh sie sich aus. Das erste Mal hat er ein Pferd mit Bronze bemalt, gleichsam um eine sich bewegende Statue zu schaffen. Der Besitzer des Tieres verklagte ihn, doch gerade dadurch wurde er bekannt. Er hat später noch viele bemalt. Er malte alles an, verbrauchte also auch kolossale Mengen Farbe. Er bemalte das Gras, die Wege, die Baumstämme, das Laubwerk Blatt für Blatt, Kiesel oben und unten, als wollte er sogar die Landschaft erstarren lassen.«
    »Das interessiert den Kommissar nicht«, fiel ihm Hélène ins Wort.
    »Kannten Sie Réal?«
    »Ich habe ihn oft im Gefängnis besucht, ich war entschlossen, ihn da herauszuholen.«
    »Wessen hat Ihr Vater ihn denn beschuldigt?«
    »Dass er eine alte Frau – seine Gönnerin – angemalt hatte, deren Erbe er war.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Er hat diese Frau mit Bronze eingestrichen, um sie auf eines seiner berühmten Pferde zu setzen, eine lebende Reiterstatue. Aber die Farbe war nicht luftdurchlässig, die Poren verstopften sich, und bevor man Zeit hatte, die Mäzenin zu reinigen, war sie auf dem Tier bereits erstickt. Réal hat das Erbe angetreten.«
    »Seltsam«, murmelte Adamsberg. »Und das Pferd? War es auch tot?«
    »Nein, und das eben war die Frage. Réal verstand sein Handwerk, er malte mit porösen Farben. Er war ja nicht verrückt.«
    »Nein«, meinte Adamsberg skeptisch.
    »Chemiker sagten, dass das molekulare Aufeinandertreffen der Farbe mit den Kosmetikprodukten der Mäzenin zu der Katastrophe geführt hätte. Aber mein Vater wies nach, dass Réal zwischen dem Pferd und der Frau den Farbkanister gewechselt hatte und der Erstickungstod von ihm beabsichtigt gewesen war.«
    »Und Sie waren damit nicht einverstanden.«
    »Nein«, sagte Pierre und schob das Kinn vor.
    »Die Argumente Ihres Vaters, waren sie stichhaltig?«
    »Kann sein, und selbst wenn. Mein Vater hatte sich ungewöhnlich heftig in den Kerl verbissen. Er hasste ihn ohne Grund. Er hat alles getan, um ihn zur Strecke zu bringen.«
    »Das stimmt nicht«, warf Hélène plötzlich streitsüchtig ein. »Réal war größenwahnsinnig und hoch verschuldet. Er hat die Frau umgebracht.«
    »Quatsch«, unterbrach Pierre sie. »Mein Vater hatte es auf ihn abgesehen, als wollte er in der Person von Réal mich erreichen. Mit achtzehn wollte ich Maler werden. Réal war sechs Jahre älter als ich, ich kannte seine Arbeiten, ich bewunderte ihn, ich hatte ihn zwei Mal besucht. Als mein Vater das erfuhr, ist er ausgerastet. Für ihn war Réal ein habgieriger Ignorant – ich zitiere –, dessen groteske Erfindungen die Zivilisation zerstörten. Mein Vater war ein Mensch der dunklen Zeiten, er glaubte an den Fortbestand der alten Fundamente der Welt, und einer wie Réal widerte ihn an. Mit seiner ganzen Reputation

Weitere Kostenlose Bücher