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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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hat der Hund ihn vor Gericht gebracht und in den Tod getrieben.«
    »Der Hund«, wiederholte Adamsberg.
    »Jawohl«, sagte Pierre, ohne mit der Wimper zu zucken. »Mein Vater war nichts weiter als ein alter Mistkerl.«

8
     
    Man hatte die Namen sämtlicher Bewohner der umliegenden Villen erfasst, es begann die notwendige und ermüdende Zeugenbefragung in der Nachbarschaft. Sie widersprach dem Urteil des Sohnes nicht. Wenn auch niemand Pierre Vaudel einen alten Mistkerl zu nennen wagte, beschrieben die Leute ihn doch als ungeselligen, eigenbrötlerischen, intoleranten und von sich selbst überzeugten Menschen. Intelligent, doch ohne irgendjemanden davon profitieren zu lassen. Kontaktfeindlich, aber, was die angenehme Kehrseite war, er behelligte auch niemals seine Umgebung. Die Beamten gingen von Tür zu Tür, sprachen von einem schändlichen Mord, ohne zu präzisieren, dass der alte Mann zerkleinert worden war. Könnte es sein, dass Pierre Vaudel seinem Mörder die Tür geöffnet hatte? Ja, wenn der Grund des Besuchs praktischer Natur war, wenn es nicht um bloßes Geschwafel ging. Auch nach Einbruch der Nacht? Aber ja, Vaudel war nicht ängstlich, er war sogar, wie sollte man sagen, unverwundbar. Zumindest versuchte er diesen Eindruck zu erwecken.
    Ein Einziger, sein Gärtner Émile, beschrieb Pierre Vaudel anders. Nein, Vaudel sei kein Misanthrop gewesen. Er misstraute allein sich selbst, und darum sah er keinen Menschen. Woher der Gärtner das wusste? Nun, weil Vaudel es selber von sich sagte, mit einem kleinen Lächeln manchmal, einem Lächeln so aus den Augenwinkeln. Wie hatte er ihn kennengelernt? Im Gericht, bei seinem neunten Gerichtstermin wegen Körperverletzung, vor nunmehr fünfzehn Jahren.
    Vaudel hatte seine Gewaltbereitschaft interessiert, und im Laufe der Gespräche waren sie einander nähergekommen. Bis Vaudel ihn schließlich in seine Dienste nahm, damit er sich um den Garten kümmerte, um die Bevorratung mit Holz, später dann um die Einkäufe und den Haushalt. Émile sagte ihm zu, weil er nicht geschwätzig war. Als die Nachbarn von der Vergangenheit des Gärtners hörten, waren sie nicht gerade begeistert.
    »Was normal ist, man muss sich mal an die Stelle der Leute versetzen. Émile der Schläger, so nennt man mich. Die Leute waren zwangsläufig misstrauisch, sie gingen mir aus dem Weg.«
    »Tatsächlich?«
    Der Mann hatte sich auf die oberste Stufe der Außentreppe gesetzt, dahin, wo die erste Junisonne den Stein schon ein wenig wärmte. Schmächtig und auf kurzen Beinen, versank er in seinem blauen Overall und sah durchaus nicht furchterregend aus. Sein sehr asymmetrisches Gesicht hatte etwas Verbrauchtes und Unscharfes, ja, eigentlich war es hässlich, und es sprach weder Wille noch Selbstsicherheit aus ihm. Wenn er glaubte, sich verteidigen zu müssen, rieb er sich seine von Schlägen verbogene Nase und legte schützend die Hand über die Augen. Eines seiner Ohren war größer als das andere, er kratzte es sich in der Art eines unruhig gewordenen Hundes, und allein diese Geste deutete darauf hin, dass er Kummer hatte oder auch, dass er sich verloren fühlte. Adamsberg setzte sich neben ihn.
    »Gehören Sie zu den Bullen?«, fragte der Mann nach einem erstaunten Blick auf Adamsbergs Bekleidung.
    »Ja. Ein Kollege meint, Sie seien nicht einverstanden mit dem, was die Nachbarn über Pierre Vaudel sagen. Ich weiß Ihren Namen nicht.«
    »Hab ich denen schon zwanzig Mal gesagt. Ich heiße Émile Feuillant.«
    »Émile«, wiederholte Adamsberg, um sich den Namen einzuprägen.
    »Schreiben Sie ihn nicht auf? Die anderen haben ihn notiert. Und das ist normal, sonst würden sie ja hundertmal dieselben Fragen stellen. Wo sie sich eh schon dauernd wiederholen. Das hat mich immer genervt: Warum müssen Bullen alles wiederholen? Man sagt zu ihnen: ›Freitagabend war ich im Papagei .‹ Und der Bulle, der antwortet: ›Freitagabend warst du wo?‹ Wozu dient das, außer dass es einem auf die Nerven geht?«
    »Dazu, dass es auf die Nerven geht. Bis der Kerl seinen Papagei aufgibt und den Bullen sagt, was sie wissen wollen.«
    »Na ja, ist im Grunde normal. Kann man verstehen.«
    Normal, nicht normal. Émile schien die Dinge diesseits und jenseits dieser Demarkationslinie einzuordnen. Dem Blick nach zu urteilen, mit dem er ihn maß, war Adamsberg nicht sicher, ob Émile ihn unter »normal« einstufte.
    »Haben alle Leute hier Angst vor Ihnen?«
    »Außer Madame Bourlant, der Frau von nebenan. Hören Sie,

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