Der verbotene Ort
hatte es in den Linien meiner Hand gel esen. Er kannte die Geheimnisse dieser Linien und hat sie mir beigebracht. Da«, sagte er, drehte seine Hand um und deutete auf die Wurzel des rechten Ringfingers. »An der Stelle hier hat er gesehen, dass ich reich sein würde. Das konnte ja wohl nicht heißen, dass damit sein Geld gemeint war, oder? Ich spiele Lotto, ich dachte, von daher würde es kommen.«
Plötzlich verfiel Émile in Schweigen und starrte auf seine Handfläche. Adamsberg, der das grausame Spiel von Reiher und Fisch beobachtete, sah den Schatten einer alten Angst über das Gesicht des Gärtners ziehen, die nichts mit der Aggressivität von Mordent zu tun hatte. Die Schnabelhiebe des Commandant schienen ihn weder zu beunruhigen noch zu nerven. Nein, es war diese Sache mit den Linien in der Hand.
»Las er noch etwas anderes in Ihren Händen?«, fragte Adamsberg.
»Oh, nichts Wesentliches, außer dieser Geschichte mit dem Reichtum. Er fand, ich hätte gewöhnliche Hände und das wäre ein Glück. Was mich nicht geärgert hat. Aber als ich seine Hände sehen wollte, das war schon was anderes. Da hat er die Fäuste geschlossen. Er hat gesagt, da gäbe es nichts zu sehen, er hat gesagt, er hätte keine Linien. Keine Linien! Und er sah so tückisch dabei aus, dass ich lieber nicht darauf bestehen wollte, und an dem Abend haben wir kein Morpion gespielt. Keine Linien! Ist doch nicht normal, so was. Wenn ich die Leiche sehen könnte, wüsste ich, ob’s stimmte.«
»Man kann die Leiche nicht sehen. Die Hände sind auf jeden Fall hin.«
Émile zog bedauernd die Schultern hoch und sah zu Lieutenant Retancourt hin, die mit großen, uneleganten Schritten auf sie zukam.
»Die sieht nett aus«, sagte er.
»Verlassen Sie sich nicht darauf«, sagte Adamsberg. »Sie ist das gefährlichste Tier von der Bande. Sie ist seit gestern Morgen ununterbrochen am Tatort.«
»Wie macht sie das?«
»Sie kann im Stehen schlafen, ohne umzufallen.«
»Das ist nicht normal.«
»Nein«, bestätigte Adamsberg.
Retancourt hielt vor ihnen an und gab den beiden Männern ein zustimmendes Zeichen.
»Es geht in Ordnung«, sagte sie.
»Ausgezeichnet«, sagte Mordent. »Machen wir weiter, Kommissar? Oder bleiben wir noch ein bisschen bei der Chiromantie?«
»Ich weiß nicht, was Chiromantie ist«, erwiderte Adamsberg scharf.
Was hatte Mordent bloß? Der gute alte, kahlköpfige Vogel, der so liebenswürdig und kompetent war? So untadelig in der Arbeit, unschlagbar in Märchen und Legenden, redegewandt und von ausgleichendem Naturell? Dass er, Adamsberg, sich zwischen seinen beiden Commandants für Danglard entschieden hatte, als es um das Kolloquium in London ging, hatte Mordent verärgert. Aber er würde zum nächsten Team für Amsterdam gehören. Das war gerecht, und Mordent war auch nicht der Typ, der lange etwas übelnahm oder Danglard ein Bad in der englischen Kultur nicht gegönnt hätte.
»Das ist die Wissenschaft von den Linien der Hand. Mit anderen Worten, reiner Zeitverlust. Und Zeit verschwenden wir hier schon genug. Émile Feuillant, Sie haben sich gefragt, wo Sie heute Nacht schlafen werden, das scheint geklärt.«
»Im Haus«, sagte Adamsberg.
»Im Schuppen«, korrigierte Retancourt. »Die Räume sind noch alle versiegelt.«
»In Polizeigewahrsam«, sagte Mordent.
Adamsberg löste sich von der Hauswand und ging, die Hände in den Taschen, ein paar Schritte in die Allee hinein.
Er ließ die Kieselsteine unter seinen Schuhsohlen knirschen, das Geräusch mochte er.
»Das liegt nicht in Ihrer Zuständigkeit, Commandant«, sagte er, die einzelnen Wörter betonend. »Ich habe noch nicht den Divisionnaire angerufen, und der wiederum hat noch nicht den Richter gesprochen. Zu früh, Mordent.«
»Zu spät, Kommissar. Der Divisionnaire hat mich bereits angerufen, und der Richter hat polizeilichen Gewahrsam für Émile Feuillant angeordnet.«
»So?«, sagte Adamsberg und wandte sich um, die Arme vor der Brust gekreuzt. »Der Divisionnaire ruft an, und Sie geben nicht an mich weiter?«
»Er wollte nicht mit Ihnen reden. Ich musste es respektieren.«
»Das entspricht nicht den Vorschriften.«
»Sie pfeifen doch auf Vorschriften.«
»Diesmal nicht. Und die Vorschriften besagen auch, dass dieser Gewahrsam verfrüht und unbegründet ist. Da gäbe es ebenso viele Gründe, Vaudel junior zu verhaften, oder jemanden aus der Familie des Malers. Retancourt, was macht diese Familie für einen Eindruck?«
»Den eines fest
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