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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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nicht zu übersehende Logik und bewies, dass der Mörder nicht willkürlich zerstört oder verschont hatte. Nur der Sinn dieser bizarren Idee war nicht erkennbar.
    »Auch bei den Organen«, begann Danglard wieder, »wurde eine Auswahl getroffen. Die Därme, der Magen, die Milz haben den Mörder nicht interessiert, ebenso wenig wie Lungen und Nieren. Er hat sich auf die Leber, das Herz und das Gehirn konzentriert, von dem ein Teil im Kamin verbrannt wurde.«
    Danglard zeichnete drei Pfeile, die vom Gehirn, dem Herzen und der Leber ausgingen und aus dem Körper hinauswiesen.
    »Es geht ihm um die Zerstörung des Verstandes«, wagte Mercadet sich vor, indem er das leicht benommene Schweigen der Beamten brach, die noch immer auf die Zeichnungen starrten.
    »Die Leber?«, meinte Voisenet. »Ist die Leber für dich der Sitz des Verstandes?«
    »Mercadet hat nicht ganz unrecht«, sagte Danglard. »Vor dem Christentum, aber auch später stellte man sich mehrere Seelen im Körper vor, s piritus, animus und anima. Geist, Seele und Bewegung, und sie konnten in verschiedenen Organen hausen wie eben in der Leber und im Herzen, die als der Sitz der Furcht und der Gefühlsregungen galten.«
    »Ach so«, räumte Voisenet ein, denn Danglards Wissen galt allgemein als unanfechtbar.
    »Und mit der Zertrümmerung der Gelenke«, sagte Lamarre in seiner üblichen steifen Art, »wollte er erreichen, dass der Körper nicht mehr funktioniert? So wie man ein Räderwerk zerstört?«
    »Und die Füße? Warum die Füße und nicht die Hände?«
    »Vielleicht aus demselben Grund«, meinte Lamarre. »Damit er nicht laufen kann?«
    »Nein«, meinte Froissy. »Das erklärt nicht den großen Zeh. Warum zerstört er vor allem den Zeh?«
    »Was soll das alles?«, fragte Noël und stand auf. »Was zerbrechen wir uns hier den Kopf, um plausible Gründe für diese Sauerei zu finden? Es gibt keinen plausiblen Grund. Der Mörder hatte einen, aber wir haben nicht die geringste Vorstellung davon, nicht mal eine Ahnung.«
    Er setzte sich wieder, und Adamsberg stimmte ihm zu.
    »Es ist wie mit dem Typen, der seinen Schrank gegessen hat.«
    »Ja«, bestätigte Danglard.
    »Und wozu?«, fragte Gardon.
    »Genau das weiß man nicht.«
    Danglard trat an das Flipchart zurück und legte ein neues Blatt frei.
    »Schlimmer«, begann er wieder, »der Mörder hat die einzelnen Teile nicht irgendwie weggeworfen. Dr. Romain hatte recht, er hat sie bewusst gestreut. Es wäre ermüdend, alles aufzuzeichnen, Sie werden die Verteilung im Raum aus dem Bericht ablesen. Doch um ein Beispiel zu nennen, nachdem er die fünf Mittelfußknochen voneinander gelöst und zertrümmert hat, schmeißt der Mörder sie in die vier Ecken des Zimmers. Genauso verfährt er mit jedem anderen Körperteil, zwei Stücke hierhin, eins dahin, ein weiteres wieder woandershin, zwei schließlich unters Klavier.«
    »Vielleicht ein Tick von ihm«, sagte Justin. »Oder er hat eine Macke. Der Kerl schmeißt alles im Kreis um sich herum.«
    »Es gibt keinen plausiblen Grund«, wiederholte Noël brummig. »Wir verlieren unsere Zeit, es bringt überhaupt nichts, das zu interpretieren. Der Mörder ist tobsüchtig, er zerschlägt alles, hier und da verbeißt er sich noch besonders, warum, wissen wir nicht, lassen wir’s dabei bewenden. Bei unserem Nicht-Wissen.«
    »Eine Tobsucht immerhin, die mehrere Stunden lang lodert«, präzisierte Adamsberg.
    »Eben«, sagte Justin. »Wenn sein Zorn nicht erlischt, so ist das vielleicht der Grund für das Gemetzel. Der Mörder kann nicht aufhören, er muss weiter- und immer weitermachen, und am Ende ist alles zu Brei geschlagen. Wie einer, der trinkt, bis er umfällt.«
    Oder der seinen Spinnenbiss kratzt, dachte Adamsberg.
    »Kommen wir nun zum Material«, sagte Danglard.
    Ein Anruf unterbrach ihn, der Commandant entfernte sich überraschend lebhaft, das Telefon ans Ohr gepresst. Abstract, schloss Adamsberg.
    »Warten wir auf ihn?«, fragte Voisenet.
    Froissy rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Sie sorgte sich um die Essenszeit – schon vierzehn Uhr fünfunddreißig –, zusammengekrümmt saß sie da. Jedermann wusste, dass die Vorstellung, eine Mahlzeit zu versäumen, Panik bei ihr auslöste, und Adamsberg hatte seine Mitarbeiter gebeten, in diesem Punkt sehr wachsam zu sein, denn schon drei Mal im Verlauf von Recherchen war Froissy aus Angst ohnmächtig geworden.

16
     
    Man fand sich in der schmuddeligen kleinen Kneipe am Ende der Straße zusammen, im Würfelbecher,

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