Der verbotene Ort
denn die gepflegte Brasserie des Philosophes auf der gegenüberliegenden Straßenseite servierte um diese Stunde keine Speisen mehr, sie hielt sich an die konventionellen Zeiten. Je nach Laune und Geldbeutel konnte man, indem man nur die Straßenseite wechselte, sich für bürgerliche oder proletarische Lebensweise entscheiden, sich für reich oder arm halten, einen Tee oder ein Glas Roten bestellen.
Der Wirt verteilte vierzehn Sandwiches – es gab keine Wahl, es war nur noch Käse da – und ebenso viele Tassen Kaffee. Er stellte ungefragt drei Karaffen Rotwein auf den Tisch, er mochte Gäste nicht, die seinen Wein verschmähten, dessen Herkunft im Übrigen unbekannt war. Danglard meinte, es wäre ein billiger Côtes-du-Rhône, und man glaubte es.
»Der Maler, der sich im Gefängnis umgebracht hat? Sind Sie da weitergekommen?«, fragte Adamsberg.
»Keine Zeit gehabt«, sagte Mordent und schob sein Sandwich weg. »Mercadet macht sich heute Nachmittag daran.«
»Der Kot, die Haare, das Taschentuch, die Fingerabdrücke, was ist dabei herausgekommen?«
»Es ist in der Tat Kot unterschiedlicher Herkunft«, erklärte Justin. »Der von Émile ist nicht derselbe wie die Kotklümpchen aus dem Zimmer.«
»Wir werden zum Vergleich Proben von dem Hund entnehmen«, sagte Adamsberg. »Die Chancen stehen neun zu zehn, dass Émile diesen Kot vom Bauernhof mitgebracht hat.«
Cupido lag eingerollt unter seinen Beinen, Adamsberg hatte es noch nicht gewagt, ihn mit dem Kater zu konfrontieren.
»Er stinkt, der Köter«, sagte Voisenet am Ende der Tafel. »Er stinkt bis hierher.«
»Wir entnehmen zuerst und waschen ihn dann.«
»Was ich sagen will«, beharrte Voisenet, »ist, dass er wirklich stinkt.«
»Halt die Klappe«, sagte Noël.
»Bei den Fingerabdrücken nichts Überraschendes«, fuhr Justin fort. Im ganzen Haus die von Vaudel und Émile, von Letzterem zahlreiche auf dem Spieltisch, der Kaminverkleidung, den Türknäufen, in der Küche. Émile war ein gewissenhafter Hausmann, viele Spuren gibt es nicht, die Möbel sind abgewischt. Dennoch haben wir einen schwachen Abdruck von Pierre junior auf dem Schreibtisch, einen weiteren, sehr guten auf einer Stuhllehne gefunden. Er muss ihn an den Tisch herangezogen haben, wenn er mit seinem Vater arbeitete. Vier unbekannte männliche Finger im Schlafzimmer, auf der Schreibplatte des Sekretärs.«
»Der Arzt«, sagte Adamsberg. »In diesem Raum wird er seine Konsultationen abgehalten haben.«
»Schließlich noch die Hand eines anderen Mannes in der Küche und die einer Frau im Bad, auf dem Waschtisch.«
»Na bitte«, sagte Noël, »eine Frau bei Vaudel.«
»Nein, Noël, es gibt keinen einzigen Fingerabdruck einer Frau in seinem Schlafzimmer. Die Nachbarn versichern, dass Vaudel kaum ausging. Er ließ sich ins Haus liefern und empfing dort seine Friseuse, seinen Bankier und den Herrenschneider von der Avenue. Gleiches Ergebnis bei seinen Telefongesprächen, nichts Persönliches darunter. Ein oder zwei Mal im Monat der Sohn. Und auch dann war es immer der Junior, der sich überwunden hat, anzurufen. Das längste ihrer Gespräche hat vier Minuten, sechzehn Sekunden gedauert.«
»Kein Gespräch mit Köln?«, fragte Adamsberg.
»Mit Deutschland? Nein, warum?«
»Es scheint, als habe Vaudel seit langem eine alte Dame in Deutschland geliebt. Eine Frau Abster in Köln.«
»Das muss ihn nicht daran hindern, mit der Friseuse zu schlafen.«
»Habe ich auch nicht gesagt.«
»Nein, kein Damenbesuch, da sind sich die Nachbarn sicher. Und in dieser verdammten Straße wissen sie alles voneinander.«
»Wie haben Sie das mit der Frau Abster erfahren?«
»Émile hat mir einen Liebesbrief überlassen, den er nach Vaudels Tod aufgeben sollte.«
»Was schreibt er?«
»Es ist Deutsch«, erwiderte Adamsberg, indem er das Kärtchen aus seiner Tasche zog und auf den Tisch legte. »Froissy, können Sie da mal draufschauen?«
Froissy sah auf das Papier, runzelte die Brauen und versuchte sich an einer ungefähren Übersetzung.
»Es muss eine unmögliche Liebe gewesen sein«, schloss Voisenet aus den kurzen Zeilen. »Sie war mit einem anderen verheiratet.«
»Aber dieses großgeschriebene Wort am Ende«, sagte Froissy und tippte auf das Papier, »das ist kein Deutsch.«
»Es ist ein zwischen ihnen verabredeter Code«, meinte Adamsberg, »eine Anspielung auf etwas, das nur sie beide kannten.«
»Ja«, bestätigte Noël, »ein Geheimwort. Albern, so was, aber Frauen gefällt es, und Männer
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