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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Pythagoreer?«
    »Ja. Ich halte nicht viel von ihrer Geheimniskrämerei, aber eines hat mich bei Pythagoras schon immer fasziniert. Jetzt wird mir klar, warum. In seiner Sphärenmusik erklingt das Echo dessen, was uns die Scheibe von Ys deutlich offenbart.«
    »Sphärenmusik?«
    »Die Pythagoreer haben versucht, die kosmische Ordnung in Harmonien zu fassen. Platon glaubte, diese seien nur mit dem geistigen Ohr wahrzunehmen.«
    »Das ist mir zu hoch, Meister.«
    »Ich rede von der Macht der Gedanken, Theo.« Poseidonios drehte sich um und deutete zum Diskus. »Das uralte Wissen im Buch der Zeit ist offenbar so mächtig, dass sich schon das Nachsinnen darüber auf unsere stoffliche Welt auswirkt. Daher auch die Empfehlung auf der Vorderseite, sich ihm nur mit der Unschuld eines Kindes zu nahen.«
    »Für mich klingt das eher wie eine Warnung, Meister.«
    »Ja, ja. Etwas übertrieben, oder?«
    Unbehaglich blickte ich in den schneebedeckten Garten hinaus. »Ich weiß nicht …«
    »Jetzt klingst du fast wie Agamemnon. Du musst den Diskus von Ys als einmalige Gelegenheit begreifen. Damit vermag ich in Sphären des Wissens vorzustoßen, die nie ein Mensch zuvor betreten hat. Meine Idee wird mich unsterblich machen, ich würde zum Achilles der Wissenschaft.«
    »Seid Ihr das nicht heute schon, Meister?«
    »Du hast ja keine Ahnung, kleine Ameise! Mithilfe der allumfassenden Formel könnte ich eine Weltenmaschine bauen, verstehst du? Ein Räderwerk, an dem sich die grundlegenden Kräfte des gesamten Kosmos studieren ließen, ein funktionierendes, verkleinertes Abbild davon.«
    »Ihr meint ein Zwergenuniversum?«
    Poseidonios schnaubte. »Zwerge sind germanische Zauberwesen und haben nicht das Geringste damit zu tun. Wovon ich rede, das ist kein magischer, sondern ein mechanischer Kosmos. Und weil im Himmel und auf Erden alles mit allem verbunden ist, ließe sich mit seiner Hilfe sogar die Zukunft vorhersagen und drohendes Unheil von der Menschheit abwenden.«
    »Wie wollt Ihr das alleine schaffen? Seid Ihr dafür nicht schon zu alt, Meister?«
    Poseidonios’ Miene schien jäh zu versteinern. Unwirsch funkelte er mich an. Aber dann lachte er wieder. »Das liebe ich so an Kindern! Sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Leider kann ich dir nicht widersprechen, Theo. Mein Geist ist zwar jung und geschmeidig geblieben, der Körper lässt mich nur immer häufiger im Stich. Was nützt es mir, die Weltenmaschine zu entwerfen, wenn meine gichtknotigen Finger den komplizierten kosmischen Mechanismus nicht zu bauen vermögen?«
    Ich schöpfte Hoffnung, weil ich den Einfall meines Mentors für gefährlich hielt. Vielleicht konnte ich ihm die verrückte Idee von der Weltenmaschine irgendwie ausreden. »Warum gebt Ihr Hyrkan nicht einfach den Diskus zurück? Soll er doch einen anderen finden, der mit diesem verfluchten Ding etwas anzufangen weiß.«
    »Willst du damit andeuten, ich sei dem Buch der Zeit nicht gewachsen?« Diesmal wirkte Poseidonios richtig wütend.
    »Nein«, wiegelte ich rasch ab. »Wahrscheinlich bin ich noch zu jung, um das alles zu verstehen.«
    Der Philosoph musterte mich lang. »Manchmal denke ich, du bist viel zu gescheit für dein Alter. Vielleicht sollte ich auf dich hören und mir einen jüngeren Partner suchen. Einen mit ruhigen Händen, scharfen Augen und genialem Verstand. Ich wüsste da schon jemanden.«
    Innerlich verwünschte ich das unheilvolle Buch. Es kam mir so vor, als stemme es sich gegen das Vergessen an, als klammere es sich mit Macht ans Bewusstsein des Philosophen. Mir gingen allmählich die Argumente aus. »Ist dieser Jemand denn auch vertrauenswürdig, Meister?«
    »Ohne Wenn und Aber. Er war früher mein Schüler so wie du.« Der Alte zitterte vor Aufregung. Seine Rechte krallte sich schmerzhaft um meine Schulter. »Hilf mir, geschwind ein paar Sachen zusammenzupacken.«
    Mir war sein stürmischer Unternehmungsgeist nicht geheuer. »Ihr habt die ganze Nacht nicht geschlafen. Gönnt Euch doch bitte erst etwas Ruhe, ehe Ihr …«
    »Still!«, zischte mich Poseidonios giftig an. Gleich darauf schüttelte er den Kopf, als reue ihn, den sonst so beherrschten Stoiker, der Gefühlsausbruch. In versöhnlichem Ton, wenngleich mit unverändert fiebrigem Blick, fügte er hinzu: »Tu einfach, was ich dir sage, Morvi. Gehe zu Agamemnon, hole ihn unter dem Tisch hervor und bereitet alles für eine Reise vor.«
    »Er wird mich fragen, wie lange wir unterwegs sein werden.«
    »Dann sag ihm, wir

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