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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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mit dem Kopf: Ich gehe da rüber und du folgst mir. Ohne ihre Reaktion abzuwarten, schlich er voran.
    Aus dem Internat kannte Sophia die Tollpatschigkeit vieler Jungen. In der Pubertät wuchsen deren Gliedmaße oft schneller als der Verstand. Deshalb waren ihre Arme oder Beine ständig zu lang und eckten überall an. Bei Theo konnte sie davon nichts feststellen. Er bewegte sich so mühelos und leise wie eine Raubkatze. Behände schlüpfte er zwischen Wand und Wächter hindurch. Im Vergleich zu ihm war Sophia eher die schlanke Gazelle und ebenso leichtfüßig folgte sie ihm.
    Im Rücken der Gliederpuppen entfernten sie sich von der Geheimtür. Als die Figuren, wie Sophia hoffte, außer Hörweite waren, legte sie wieder ihren Rucksack an und flüsterte: »Du kannst mir die Kiste jetzt wiedergeben.«
    Auf Theos Stirn erschienen mehrere Falten. »Nur keine Sorge. Ich will sie dir nicht wegnehmen.«
    Sie biss sich auf die Unterlippe und fühlte sich ertappt. Mürrisch lief sie weiter neben ihm her. Die schon zuvor vernommenen Schritte kamen näher. Theo ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, aber Sophia wurde zunehmend nervöser.
    Nach einer Weile riss ihr der Geduldsfaden.
    »Sind wir immer noch nicht weit genug vom Labyrinth der Zeit entfernt?«
    Er hob die Schultern. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
    »Ganz toll!«
    »Kannst du eigentlich auch etwas anderes sagen?«
    »Ja. Lass uns endlich die Uhr aufziehen, sonst fliegen wir auf.«
    Er deutete zu einer Wandnische mit einer animierten Figurengruppe aus Kupfer und griff nach Sophias Hand. »Schnell! Dahinter können wir uns verstecken.«
    Sie stöhnte leise, ließ sich jedoch abermals mitziehen. »Was ist das? Eine Freakshow?«, wisperte sie und zeigte auf die sich langsam bewegenden Skulpturen.
    Theo zog sie hinter den brusthohen Sockel. »Der in der Mitte ist Laokon, der trojanische Priester des Poseidon. Die zwei daneben sind seine Söhne. Sie kämpfen mit den Seeschlangen, die Apollon …« Er verstummte und zog den Kopf ein, weil in diesem Moment verschiedene mechanische Wesen auf dem Gang erschienen.
    Von rechts näherte sich eine gesichtslose Gliederpuppe, die nur mit einem Schwert bekleidet war, und von der anderen Seite ein ganzer Trupp noch bizarrerer mechanischer Kreaturen. Sie marschierten in einer exakten Vier-mal-Vier-Formation. Das gleiche Modell sechzehn Mal. Ihr Körper war eine Mischung aus Stier und Nashorn, hatte die Farbe einer Kröte und war mit dicken Schuppen bedeckt. Über den Vorderläufen erhob sich ein muskulöser, menschlicher Oberkörper wie bei einem Zentauren. Auf dem zottigen Haupt trugen sie ein Stiergehörn. Ein drittes, kleineres Horn ragte schräg nach vorne aus ihrem Rücken auf. Ihre Augenhöhlen waren leer. Dennoch wirkten sie alles andere als orientierungslos.
    Sophia duckte sich tief hinter den Figurensockel und spähte zwischen Laokons Beinen hindurch; sie quietschten leise, während der Kupfermann mit den mechanischen Schlangen rang. Das animierte Kunstwerk erinnerte Sophia an eine nicht sonderlich gruselige Attraktion in einer Geisterbahn, aber die übrigen Maschinen im Gang waren ihr nicht geheuer. Obwohl die sich nicht so geschmeidig bewegten wie echte Lebewesen, konnten sie ihre Umgebung offenbar genau wahrnehmen und sich mit spielerischer Leichtigkeit darin bewegen.
    Theos warmer Atem streifte Sophias Wange.
    »Das sind Dreifach Gehörnte Automanten. Sie tragen keine Uniformen, sind also vermutlich außer Dienst.«
    Sie zog sein Ohr grob zu sich heran. »Super! Willst du, dass ich darüber juble? Und von wegen träge! Achte mal auf die …« Gliederpuppe, hatte sie sagen wollen, doch als die jetzt den Automanten auswich, blieb Sophia das Wort im Halse stecken. Das gesichtslose Maschinenwesen lief rückwärts geradewegs auf die Laokongruppe zu. Augenscheinlich wollte es dahinter Schutz suchen.
    Theo ging ganz in die Hocke und zog dabei auch Sophia mit nach unten. Er legte den Zeigefinger an die Lippen. Pschsch!
    Sie steckten in einer Zwickmühle. Entweder konnten sie sich von dem silbernen Einzelgänger entdecken oder sich von den sechzehn Automanten auf die Hörner nehmen lassen. Im Rückwärtsgehen kam die Figur ihnen Schritt für Schritt näher. Gleich musste sie die zwei bemerken.
    Plötzlich erhob sich Theo.
    Am liebsten hätte Sophia geschrien. Ihre Nerven gingen mit ihr durch. Erst die Gliederpuppe und jetzt ihr angeblicher Retter. Zeigte Theo nun sein wahres Gesicht? Wollte er Alarm schlagen, um sie

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