Der verbotene Schlüssel
er im Gebrauch des Pilums geübt, denn sein fast ansatzloser Wurf war wie ein tödlicher Blitz. Dem heranstürmenden Angreifer blieb keine Zeit zum Reagieren. Er keuchte, als die schwere eiserne Spitze ihn mitten in die Brust traf. Die eigene Waffe entglitt seiner Hand. Mit einem Ausdruck höchster Überraschung auf dem Gesicht kippte er nach hinten und fiel vom Pferd. Hyrkan schnappte sich den Zügel und schwang sich behände auf das Tier.
Benommen wich ich zurück, um von dem Rappen nicht niedergetrampelt zu werden. Ich zitterte. Alles war so schnell gegangen. Mein Blick wanderte von dem blutenden Mann auf dem Straßenpflaster zum Freund, der den nervös tänzelnden Hengst endlich zum Stehen gebracht hatte. Hyrkan streckte mir den Arm entgegen. Seine Lippen bewegten sich, aber kein Laut schien aus seiner Kehle zu kommen. In seinem Rücken nahten der zweite Reiter, Obal und Mamik.
»Der Speer, Junge! Schnell!«
Die Worte erreichten mein Bewusstsein, als es schon fast zu spät war. Ich bückte mich, hob die neben mir liegende Waffe auf und warf sie Hyrkan zu. Der fing sie auf und lenkte sie mit neuem Schwung in die Richtung des heranpreschenden Angreifers.
Diesmal kam ihm der Gegner zuvor. Kurz bevor das Pilum Hyrkans Hand verließ, hatte der Mann seinen Speer bereits geschleudert. Gelähmt vor Schreck, sah ich, wie die Bahnen der tödlichen Geschosse sich in der Luft kreuzten. Beide Werfer hatten gut gezielt. Hyrkan wird sterben!, blitzte es durch meinen Kopf.
Der Pirat duckte sich. Zu spät! Er konnte dem gegnerischen Wurfspieß nicht mehr ganz ausweichen. Die Spitze zerfetzte sein Gewand an der linken Schulter.
Ein gellender Schrei ließ mich herumfahren. Der Angreifer stürzte samt Pferd zu Boden. Der Speer des Seemanns hatte sein Bein durchbohrt und auch das Tier verletzt.
»Elender Verräter!«, brüllte Obal zornentbrannt.
»Dafür stirbst du!«, grunzte Mamik. Während er behände über das gefallene Ross hinwegsetzte und auf mich zuhielt, riss er sein Gladius aus der Scheide.
Hyrkan trieb den eingefangenen Rappen dicht an mich heran. Ohne das Tempo zu verringern, beugte er sich mit ausgestrecktem Arm zu mir hinunter und rief: »Greif zu, wenn du leben willst!«
Ich umfasste sein Handgelenk und wurde mit Schwung auf das Pferd gezogen. Keinen Augenblick zu früh, denn dort, wo ich eben noch gestanden hatte, zischte Mamiks Schwertklinge durch die Luft. Zitternd presste ich mich an den Rücken des Freundes.
Hyrkan hieb dem Hengst die Hacken in die Weichen und stimmte ein wildes Seeräubergeheul an. Als wären die Höllenhunde hinter uns her, stürmte das schwarze Ross davon.
Im gestreckten Galopp passierte der Rappe südöstlich von Rom die weißen Markierungssteine des Pomeriums, der Trennlinie zwischen der Stadt und dem Land. Manche behaupteten, es sei die Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten, was sicher übertrieben war. In Wahrheit durften die Römer nur niemanden innerhalb des Pomeriums beisetzen. Deshalb betteten sie ihre Verstorbenen jenseits davon, vor allem entlang der großen Versorgungsstraßen, zur letzten Ruhe. Hyrkan hielt im Schatten eines überirdischen Totenhauses auf der von der Via Appia abgewandten Seite an. Behutsam ließ er mich zum Boden hinab und schwang sich danach selbst vom Pferd.
»Geht es dir gut, Theo?«
»Ja.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Eigentlich nicht. Seit meiner Verschleppung aus Germanien habe ich keinen Menschen mehr sterben gesehen.«
»Diese Männer hätten nicht gezögert, uns zu töten.«
»Wo hast du so kämpfen gelernt?«
»Im Heer von Tigranes dem Älteren. Als der armenische König sich Gnaeus Pompeius unterwarf, bin ich zu den kilikischen Seeräubern gegangen. Schließlich war ich die rechte Hand ihres Anführers Aristobul. Mir ging es dabei nie um Beute. Ich wollte mich für die Knechtung meines Landes an Rom rächen. Die Gnade deines Meisters und seine Schriften öffneten mir die Augen. Mir tut es leid, dass die Männer heute sterben mussten, aber mir blieb keine andere Wahl.«
Ich ließ den Kopf hängen und nickte.
Hyrkan klopfte mir auf die Schulter. »Komm, wir müssen reden.«
Wir begaben uns mit dem Pferd in den Schatten eines Olivenbaums. Ich sank in den Schneidersitz und lehnte mich mit dem Rücken an den knorrigen Stamm. Mein Freund schlang die Zügel um einen herabhängenden Zweig und nahm neben mir Platz. Nach kurzem Schweigen kam unser Gespräch wieder in Gang.
»Eines begreife ich nicht«, sagte Hyrkan
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