Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
sogar mit ihren Fingern gespielt. Jetzt wo sich seine Stimme plötzlich in der Dunkelheit des Geisterbahnhofs verlor, wurde sie hart und zupackend.
    »Was ist?«, flüsterte sie.
    »Da war gerade ein Geräusch«, gab er ebenso leise zurück.
    »Ich habe nichts gehört.«
    »Gibt es hier einen Weg zurück in die Oberwelt?«
    »Du meinst Treppen und einen richtigen Ausgang?« Obwohl er es nicht sehen konnte, schüttelte sie den Kopf. »Kaum anzunehmen. Schon wegen der Unfallgefahr ist der Bahnhof garantiert verrammelt.«
    »Aber da kommt jemand.« Seine Stimme klang jetzt ungeduldig, fast barsch.
    »Bist du sicher?«
    »Wo geht es zu diesem anderen Bahnhof, den du vorhin erwähnt hast?«
    »Zum Moritzplatz?« Sie hatte bestenfalls ein vages Gefühl und deutete nach links. »Da lang.«
    »Ich kann dich nicht sehen, Sophia. Könntest du deine Kerze …?«
    »Bin schon dabei.«
    Ein Rumpeln hallte durch den Geisterbahnhof. Irgendwo musste es also doch einen Zugang geben, eine schwere Tür oder Klappe, die gerade geöffnet worden war.
    Und von dort näherte sich jemand.
    Sophia fuhr von der Bank hoch und ließ einmal mehr ihre künstliche Kerze aufflammen. Sie deutete zur Wand. »Springen wir auf die Gleise runter. Da können wir uns notfalls unter die Bahnsteigkante ducken.«
    Kaum hatten sie ihren Vorschlag in die Tat umgesetzt, ertönte von der Decke ein Summen. Eine Reihe Leuchtstoffröhren flackerten auf. In Sekundenschnelle hatten sie die Station in ein tristes kühles Licht getaucht.
    »Schnell in den Tunnel!«, wisperte Theo. Er lief geduckt voran und zerrte Sophia hinter sich her.
    Während sie mit ihm über die Schwellen eilte, beobachtete sie angespannt den Geisterbahnhof. Abgesehen von den edel anmutenden Säulen auf dem Mittelbahnsteig war er schmucklos und kahl. Lediglich im Zugangsbereich ließen glatte, weiß getünchte Wände vermuten, dass nachträglich Räume abgetrennt oder Durchgänge zugemauert worden waren. Das Quietschen einer sich öffnenden Metalltür erklang.
    »Lauft, geschwind! Sie müssen hier irgendwo sein«, rief eine Stimme, in der Sophia sofort das für Oros typische Kratzen erkannte.
    »Ja, Herr«, antworteten andere monoton. Schritte trappelten über den kahlen Boden.
    Als die Schergen des Stundenwächters den Bahnhof stürmten, huschten Sophia und Theo gerade hinaus. Unglücklicherweise konnte man sie mit dem Licht im Rücken nach wie vor leicht entdecken. Selbst im Schutz der Dunkelheit wären sie noch nicht sicher. Zweifellos würde Oros, sobald die U-Bahn-Station durchsucht war, seine Marionetten zur Hatz auf die Flüchtigen rufen. Wie hat er uns so fix aufgespürt?, fragte sich Sophia.
    Als sie kaum mehr die Hand vor Augen sah, schaltete sie ihre Hightech-Funzel an. Notgedrungen. Der Stille im Tunnel traute sie nicht. Theo empfand wohl genauso. Ohne ihr eine Verschnaufpause zu gönnen, zog er sie weiter hinter sich her. Jeder Schritt vergrößerte ihren Vorsprung.
    Nach etwa fünfhundert Metern verlangsamte er das Tempo und keuchte: »Sollten wir ihnen entkommen, dann sind wir bald im Freien.«
    »Ich weiß nicht, ob mich das beruhigen kann«, japste Sophia gequält. Die beiden gingen jetzt forsch nebeneinander her.
    »Genau das meine ich. Du hast mir einen Diskurs über moderne Technik versprochen. Was muss ich wissen, um die Gefahren deiner Welt richtig einzuschätzen?«
    Du hast Nerven!, hätte sie am liebsten gesagt, stöhnte aber nur. In stark geraffter Form zählte sie ein paar grundlegende Errungenschaften der Neuzeit auf. Zwar fehlte die Zeit, Theo die Funktionsweise von Telefonen, Videoüberwachung, Satellitennavigation oder Fernseh- und Rundfunkempfängern zu erklären, doch wenigstens verschaffte sie ihm einen Eindruck davon, wie schnell Informationen in Wort, Bild und Ton von einem Ort der Erde zu fast jedem beliebigen anderen transportiert werden konnten. Danach schwieg er eine Weile.
    Unterdessen stiegen sie über staubige Stufen zu einer höher liegenden Gleisebene hinauf – die Nahtstelle zwischen dem lebenden und dem vergessenen U-Bahn-Netz Berlins. Von jetzt an mussten sie Obacht geben, um nicht einem Zug in die Quere zu kommen. Doch es blieb in den Tunneln seltsam still.
    »Ob Oros das gesamte Streckennetz stillgelegt hat?«, grübelte Sophia.
    »Wie ich ihn kenne, richtet er nicht mehr Chaos an, als ihm dienlich ist. Gibt es eine direkte Verbindung zwischen diesem Ort hier und der Station, wo wir den Zugwurm bestiegen haben?«
    »Ich meine schon. Warte mal.«

Weitere Kostenlose Bücher