Der verbotene Schlüssel
Herzrhythmusstörungen?«
Er blickte von dem Patienten auf, schien im Geiste das ihm fremde Wort gründlich zu analysieren, nickte und versenkte den Blick wieder in die Innereien des Eies.
»Kannst du die Uhr reparieren?«, fragte Sophia.
Er schüttelte den Kopf. »Dazu reichen meine Kenntnisse nicht aus. Ich habe oft zugehört, als Poseidonios und Geminos an den Plänen arbeiteten, und Meister Hans hat mir beim Bau das Zusammenspiel vieler Einzelteile erklärt. Deshalb weiß ich durchaus, wo es klemmt …«
»… aber nicht, wie der Schaden zu beheben ist. Wieso starrst du dann so angestrengt in das Uhrwerk hinein?«
»Falls du den genialen Uhrmacher findest, den wir jetzt brau chen, will ich ihm ein paar nützliche Fingerzeige geben.« Er blickte wieder auf. Sein angespannter Gesichtsausdruck wurde von Verzweiflung überschwemmt. »Thaurin und meine anderen Freunde sind da drinnen gefangen, in einem erstarrten Mekanis. Und was noch schlimmer ist: Der Herrscher der Zeit ist uns auf den Fersen, um uns den kosmischen Mechanismus abzujagen. Wenn ihm das gelingt, wird er ganz bestimmt den begnadeten Uhrmacher finden, der ihn reparieren kann. Was das bedeutet, weißt du ja inzwischen.«
»Er stülpt die Welten um? Die der Menschen wird in dem Ei eingefroren und durch Mekanis ersetzt?«
»Du sagst es. Und ich befürchte, das wäre erst der Anfang. Er hat bereits früher mit der Zeit sein Spiel getrieben, um sich die Unterstützung mächtiger Männer und Frauen zu erschleichen.«
»Im Mythos von Ys sagt der Stundenwächter zu König Gradlon, er habe schon vor ihm irgendwelchen Typen zehntausend und mehr Jahre gegeben. Meinst du das?«
»Unter anderem. Während ich im Weltenei eingesperrt war, sind auch einige merkwürdige Dinge geschehen. Mehrmals sind mir Sprünge um Wochen, Monate oder sogar Jahre aufgefallen. Wenn du mich fragst, was Oros in der gestohlenen Zeit ausgeheckt hat, kann ich dir keine befriedigende Antwort geben. Aber eins steht fest: Es war nichts Gutes. Und ich fürchte, es kommt noch schlimmer.«
Sophia schluckte. »Was willst du damit sagen?«
»Dass er mit der kosmischen Maschine die Zeit nach Belieben vor- und zurückdrehen, seine Niederlagen ungeschehen machen oder seine Schurkereien vor den Chronisten verbergen könnte. Sogar die Zukunft wäre nicht mehr vor ihm sicher.«
Theos Schreckensvision ließ Sophia einen kalten Schauer über den Rücken laufen. »Eins verstehe ich nicht. Im Buch von meinem Großvater steht, dass in der Nähe des Stundenwächters sämtliche Uhren stehen bleiben …«
»Das ist richtig«, antwortete Theo, ehe sie ihren Gedanken zu Ende führen konnte. »Sie sind die einzigen Mechanismen, die sich ihm widersetzen. Er kann allem seinen Willen aufzwingen, das seine Hand berührt, nur Uhren nicht. Schon in seiner Nähe erstarren sie für sieben Tage, und fasst er sie an, dann erwachen sie nimmermehr.«
»Woher weißt du das?«
»Als ich vor vierhundert Jahren nach Mekanis kam, versuchte Oros, mich zu täuschen. Dabei hat er sich verraten. Er vermied es tunlichst, auch nur den Aufziehschlüssel der Uhr zu berühren. Und er sagte sogar, er werde den Mechanismus nicht in Gang setzen können, oder falls doch, werde die Uhr gleich wieder stehen bleiben. Ich hatte ausgiebig Gelegenheit, darüber nachzudenken. Oros verfügt offenbar über das Wissen, die Zeit zu beherrschen, aber um seine Macht auszuüben , braucht er einen Menschen, der seine Gedanken denkt. Oder wenigstens einen Apparat, der nach seiner Weltenformel konstruiert ist.«
»Allmählich begreife ich, warum er die Weltenuhr nicht selbst in Gang setzen oder sich einfach eine andere bauen kann. Worauf ich allerdings hinauswollte, ist Folgendes: In dem U-Bahn-Tunnel sind wir vor der Nase des Stundenwächters gestürzt und plötzlich erwacht das Ei wieder zum Leben. Das passt für mich nicht zusammen.«
Theo nickte verstehend und deutete abermals auf den Tisch. »Wir reden immer von einer Uhr, doch das da ist weit mehr als ein Zeitmesser. Mein Meister pflegte es den kosmischen Mechanismus zu nennen. Denke an die Unwetter, die er allein mit dem Nachsinnen darüber heraufbeschworen hat. Mit dem Weltenei lässt sich Zeit nicht nur messen, sondern alles im Universum, das im Wechselspiel mit ihr steht, kontrollieren . Aus dem Verhalten von Oros schließe ich, dass nur seine unmittelbare Berührung das Räderwerk anhalten würde.«
Sophia ließ versonnen eine ihrer blonden Strähnen durch die Finger gleiten. Sie
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