Der verbotene Schlüssel
überzeugt, dass erst dadurch das Unheil seinen Lauf nahm.«
Endlich hatten sie den Aufgang in der Bahnsteigmitte erreicht. Zwischen blassgrün gefliesten Wänden hindurch stürmten sie hinauf in eine quadratische Vorhalle. Vier Gänge führten zu weiteren Treppen.
»Da lang!«, entschied Sophia. Sie deutete nach links. Inzwischen hatte sie wieder den Stadtplan zur Hand genommen, um sich schneller zu orientieren.
Einige Stufen später gelangten sie auf den Moritzplatz. Er war in der Mitte mit Rasen begrünt und wie ein auf der Spitze stehendes Viereck geformt. Sophias Blick schweifte zu den einmündenden Straßen hinüber.
»Was suchst du?«, fragte Theo ungeduldig.
»Die Bushaltestellen.«
»Was ist ein Bus?«
»Eine Art Pferdekutsche ohne Pferde.«
»Also eine Maschine.«
Sie stöhnte. »Hör zu, Theo, Berlin hat dreieinhalb Millionen Einwohner und ist riesengroß. Per pedes kommen wir da nicht weit. Ich habe ein Zimmer in einer Jugendherberge gemietet. Da können wir uns überlegen, wie es weitergeht. Aber bis dahin sind es mindestens noch zwei Kilometer. Das halte ich in dem Tempo nicht durch. Deshalb brauchen wir einen fahrbaren Untersatz.«
»Kannst du nicht Pferde mieten?«
Sie räusperte sich. »Das ist eher unüblich. Hier in der Innenstadt jedenfalls.«
»Und wie wäre es damit?« Er deutete auf ein dreirädriges Gefährt mit einer bequemen, zweisitzigen Bank hinten und einem jungen Mann vorne, der kräftig in die Pedalen trat.
»Eine Fahrradrikscha?« Sie zuckte mit den Schultern. »Warum eigentlich nicht?«
16
N obelhotels waren bei Backpackern verpönt. Wer auf Reisen aus dem Rucksack lebte, bevorzugte auch bei der Unterkunft eher den Minimalismus. Zumindest dem Anschein nach. Teens wie Sophia, die sich um Geld nicht zu sorgen brauchten, aber trotzdem die Illusion von Bescheidenheit wahren wollten, musste das Grand Hostel wie ein Geschenk des Himmels erscheinen. Unter den Jugendherbergen war es ein Rolls-Royce.
Das Haus aus der Gründerzeit lag im Bezirk Kreuzberg am Tempelhofer Ufer 14, direkt an dem von der Spree gespeisten Landwehrkanal. Bei der Zimmerreservierung im Internet hatte Sophia gelesen, es sei 1874 gebaut und kürzlich renoviert worden. Ihre Erwartungen an eine edle Mischung aus bürgerlicher Opulenz und Moderne bestätigten sich beim Betreten des Gebäudes. Die Wände waren in Altrosa gestrichen und mit weißen Leisten abgesetzt. Hier und da sah sie goldene Stuckornamente. Auf dem Boden im Rezeptionsbereich lag rotbraunes Parkett. In einem Erker standen Tische und Stühle, die auch gut zu einem hippen Bistro gepasst hätten.
Sophia begab sich zum Tresen, um die nächste Hürde zu nehmen, die dieser an Ereignissen nicht gerade arme Tag für sie aufgestellt hatte. Sie hielt es nämlich durchaus für möglich, dass vierzehnjährige Mädchen auch in einer Luxusjugendherberge keine Jungs mit aufs Zimmer nehmen durften. Deshalb hatte sie Theo zunächst vor der Haustür stehen gelassen und meldete sich alleine an.
Der Herbergsvater, ein schlank gebauter Endvierziger mit stahlgrauem Bürstenschnitt, machte einen netten Eindruck. Sein Maskottchen indes – es saß hechelnd vor dem Tresen – bereitete ihr Kopfzerbrechen. Es roch wie ein Deutscher Schäferhund und sah auch so aus – sofern man davon ausging, dass diese Rasse in der Waschmaschine auf Terriergröße einlaufen konnte.
»Ick bin hier Empfangschef, Jeschäftsführer, Kofferkuli und Seelsorjer«, umriss das Herrchen sein Aufgabengebiet in leidlichem Hochdeutsch.
»Und der da?« Sophia bemühte sich um einen entspannten Plauderton. Sie deutete auf den Hund.
»Bommel is bei uns für die Security zuständig.«
Das konnte ja heiter werden! Wie sollte sie Theo an dieser krummbeinigen, reißenden Bestie vorbeischleusen? Sie lächelte gequält. Bommel wedelte mit dem Schwanz, blieb aber wachsam.
Der Herbergsvater zog seine eigenen Schlüsse aus ihrer Miene. »Keene Angst, Mädchen. Der zerfetzt nur Kriminelle und Störenfriede. Bleibs bei dem Doppelzimmer mit privatem Bad? Ick frag nur, weil du janz alleene bist.«
Sie nickte schnell. »Jaja, ist so ein Spleen von mir. Ich brauche immer viel Platz und möglichst wenig Leute um mich herum. Die Juniorsuite ist genau das Richtige für mich.«
»Na, wejen mir. Aber Finger wech von Drojen. Und schlepp mir keene Kerle an, hörste. Dafür jibs bei uns Hausverbot.«
»Ich bin erst vierzehn. « Sie bot ihr ganzes schauspielerisches Talent auf, um ihre Entrüstung glaubhaft
Weitere Kostenlose Bücher