Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
ein Buch von Nikolaus Kopernikus zeigen. Darin steht, dass die Erde und andere Planeten sich um die Sonne drehen.«
    Al-Din lächelte nachsichtig. »Ihr habt immer noch nicht das Wesen des Ganzen erfasst. Von jeher hat der menschliche Geist im Kosmos nach Sinn gesucht. Deshalb will er die Natur verstehen. Alle Weltsysteme, ob nun das der Pythagoreer, das von Aristoteles, von Kopernikus oder diese sieben Sphären in der kosmischen Maschine sind Vereinfachungen, nur Modelle, damit unser Geist wenigstens erahnen kann, was er wohl nie völlig wird nachvollziehen können. In der Weltenformel hat Poseidonios ein Mittel gefunden, dieser eigentlich unbegreiflichen Wahrheit ein großes Stück näher zu kommen.«
    »Durch eine spirituelle Maschine?« Hans war immer noch nicht überzeugt. Er baute gerne kleine Uhren, die man anfassen konnte. Man trug sie am Körper, nicht im Kopf.
    Taqi nickte mit wissendem Lächeln. »Wenn Ihr nur halb so gut seid wie Euer Ruf, dann stellt Euch diese Sphären in Bewegung vor und lauscht ihrem Klang.«
    Mit dieser Äußerung hatte er Hans bei seiner Ehre als Uhrmachermeister gepackt. Wenn Ihr nur halb so gut seid wie Euer Ruf? Er war besser! Die Welt hatte sein wahres Vermögen noch gar nicht erkannt.
    Demonstrativ stützte er sich mit den Unterarmen auf den Tisch, seine Nasespitze zielte auf das Herzstück der Weltenuhr. Er fertigte selbst oft Skizzen von seinen Ideen an. Sich in die Zeichnung hineinzuversetzen, bereitete ihm daher keine Schwierigkeit. Er sog sie förmlich in seinen Geist auf, machte sie in seinem Kopf zu einer spirituellen Maschine. Albern, dachte er. Aber meinetwegen, dann stelle ich mir eben jetzt die drehenden Halbkugeln vor. Mal sehen, ob da irgendwas dudelt oder bimmelt …
    Unvermittelt vernahm er ein Geräusch. Es klang nicht gerade gewaltig, nicht wie die Posaunen von Jericho, nicht einmal wie die Garausglocke in der Kirche des Heiligen Lorenz. Dafür war es schön, irgendwie elysisch …
    Ein kühler Luftzug wehte durch die Uhrmacherwerkstatt. Die Kerze flackerte und erlosch. Über dem Haus grollte der Himmel. Ein Wintergewitter?, fragte sich Hans. Plötzlich begann der Boden zu beben …
    »Hört sofort auf!«, rief Al-Din aufgeregt. »Denkt an irgendetwas anderes.«
    Der Franke wich erschrocken vom Tisch zurück. Mit aufgerissenen Augen starrte er in die Finsternis. Abgesehen vom Ticken der Uhren konnte er nichts mehr hören. Die paradiesischen Harmonien hatten sich aus seinem Kopf verflüchtigt. Jetzt vernahm er doch wieder ein Geräusch!
    Es war Taqi al-Din, der zum Kamin lief und die Kerze an der Glut neu anzündete. In einer Wolke aus Licht gesellte er sich zu seinem Kollegen.
    Als der Osmane den Arbeitstisch fast erreicht hatte, bemerkte Hans plötzlich neben sich eine Gestalt. Es schien, als würde sie aus den Schatten selbst entstehen.
    Ein Geist! , blitzte es durch sein Hirn. Er wich erschrocken zurück und keuchte auf Deutsch: »Wer bist du? Woher kommst du?«
    Was Hans in diesem Moment für einen Wiedergänger hielt, hatte er mir später als »etwa sechzehnjährigen, großen, kraftstrotzenden blonden Burschen« beschrieben. Den gängigen Vorstellungen von Untoten widersprach überdies die mangelnde Durchsichtigkeit des Halbwüchsigen. Bei genauer Betrachtung wirkte er wie aus Fleisch und Blut. Seine graublauen Augen allerdings blickten nach des Meisters Bekunden so Gänsehaut erregend intensiv, dass er meinte, sie könnten jeden Gedanken sehen. Die Tunika und die Sandalen des Jünglings hatten auch etwas Jenseitiges. Ist er am Ende doch eine überirdische Erscheinung?, fragte sich Hans. Oder nur ein Bettler, ein Lump, ein Dieb, der die Dunkelheit in der Werkstatt hatte schamlos …?
    Ich erkundigte mich nach meinem Mentor Poseidonios. Auf Griechisch.
    Hans Gruber blickte verwirrt den Osmanen an.
    Al-Din übersetzte meine Worte ins Lateinische. Er war inzwischen an meine andere Seite getreten. Wir musterten uns gegenseitig mit einer Mischung aus Neugier und Wachsamkeit. Der Gelehrte wirkte zwar ebenfalls überrascht, hatte seine Nerven aber offenkundig besser im Griff.
    Seine Unaufgeregtheit gab Meister Hans das Zutrauen in die eigene Autorität zurück. »Willst du mich bestehlen, du Strolch?«, herrschte er mich an.
    Ich legte den Kopf schräg. Vermutlich dachten die Männer, ich höre schwer. Es waren die deutschen Worte, die mich aufhorchen ließen. Sie tönten in meinen Ohren wie ein Echo aus ferner Vergangenheit. »Warum klingt Euer Germanisch so

Weitere Kostenlose Bücher