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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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seltsam?«, begehrte ich zu erfahren – wiederum auf Griechisch.
    Al-Din übersetzte amüsiert ins Lateinische.
    Der arme Hans kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Taqis Überraschungsbesuch hatte sein Nervenkostüm schon arg strapaziert und nun das! Ich war wie ein alter Hellene gekleidet, sprach auch so und sah aus wie ein milchbärtiger Wikinger? »Bist du vor der Kälte in meine Werkstatt geflüchtet und hast uns belauscht?«, fragte er streng. Er hielt mich für einen Spitzel. Wie sonst sollte irgendein dahergelaufener Lausebengel, der sicher nicht einmal lesen konnte, Poseidonios, den geistigen Vater der Weltenmaschine, kennen?
    Um dem freundlichen Taqi die Mühe der Übersetzung zu ersparen, antwortete ich diesmal auf Latein: »Ihr scheint die Zunge der Römer zu bevorzugen, Herr. Wenn Ihr Euch Eurer seltsamen germanischen Mundart schämt, kann ich mich Euch gerne anpassen.«
    Al-Din grinste.
    »Wer bist du?«, fragte Meister Hans verblüfft.
    »Theophilos von Menosgada. Alle nennen mich nur Theo.« Ich lächelte. »Meine Seele jauchzt vor Freude, dass Ihr mich zu Euch gerufen habt.«
    »Ich soll nach dir geschickt haben?« Er klemmte die Daumen in den Gürtel und drückte die Brust heraus. »Das wüsste ich aber. Woher kommst du denn bitte schön?«
    Mein Blick wandte sich der großen Zeichnung auf dem Tisch zu. Ich tippte dicht neben das Zentrum und antwortete: »Direkt von hier. Aus dem Labyrinth der Zeit, im Herzen von Mekanis.«
    Ich hatte in den letzten tausendsechshundert Jahren nichts mehr gegessen. Mein Magen fühlte sich an wie ein tausendsechshundert Fuß tiefes Loch. Ich löffelte die dicke Gemüsesuppe in mich hinein, als sei dieser Hungerschlund bodenlos. Die Uhrmacher sahen mir fasziniert zu.
    »Ich konnte früher genauso viel essen«, sagte der beleibtere von den beiden.
    »Ich noch nie«, erwiderte der schmächtige Osmane, dem eine schwarze Haarlocke vorwitzig unter dem Turban hervorlugte.
    »Hätte mich auch gewundert.« Meister Hans musterte Meister Taqi vom Kopf bis zum Bauch. Tiefer ging es nicht, weil wir an einem Tisch saßen. Wie ich bald erfahren sollte, nahmen an ihm tagsüber die Gesellen ihre Mahlzeiten ein.
    Während die beiden Uhrmacher über ihre Ernährungsgewohnheiten sprachen, begann mein Blick, im Raum umherzuschweifen. Er streifte eine spiegelblank polierte silberne Platte mit einer Gravur, wanderte zu einer hölzernen Gliederpuppe, die mit übergeschlagenen Beinen auf einem Regalbrett saß, und verharrte schließlich an der Wand gegenüber auf dem Bildnis eines dreifach gehörnten Tieres. Rhinocerus. So hieß der Holzschnitt von Albrecht Dürer, der dem im Jahre des Herrn 1515 entstandenen Druck als Vorlage gedient hatte. Ich deutete auf die Grafik und sagte mit vollem Mund: »Das ist falsch.«
    Die beiden Männer wandten sich mir überrascht zu. »Woher willst du das wissen?«, fragte Meister Hans.
    »Agamemnon hat mich einmal in die Arena mitgenommen. Ein Gladiator hat gegen ein Nashorn gekämpft – der Dickhäuter siegte.« Kauend zeigte ich auf das Bild. »Das Horn da auf dem Rücken gibt es nicht.«
    »Du bist ganz schön vorlaut, Junge«, sagte Meister Hans streng und deutete ebenfalls, aber erheblich energischer auf den Druck. »Das da ist verbürgt. Albrecht Dürer hat sich dieses seltsame Geschöpf nicht ausgedacht. Er zeichnete erst ein richtiges Tier und danach fertigte er seinen Holzschnitt an. Der portugiesische König Emanuel hatte das Rhinozeros geschenkt bekommen.«
    »Das dritte Horn ist falsch«, beharrte ich, während meine Zähne ein Rübenstück zermalmten.
    Meister Taqi lächelte duldsam. »Ein Vorschlag zur Güte: In Afrika mögen durchaus verschiedene Arten von Rhinozerossen leben, ebenso wie es mannigfaltige Hunderassen gibt. Meister Dürer hat vermutlich eines mit dreien und Theo eines mit zwei Hörnern gesehen.« Nach dieser salomonischen Schlichtung verschränkte er die Arme auf dem Tisch und beugte sich zu mir herüber. »Viel mehr interessiert mich, mein junger Freund, wie du in die Zeichnung von dem kosmischen Mechanismus geraten bist.«
    »Das ist eine merkwürdige Geschichte«, antwortete ich kauend. »Wahrscheinlich die merkwürdigste Geschichte der Welt.«
    »Wir sind begierig, sie zu hören.«
    Und so begann ich zu erzählen. Solange mein Hunger noch den Verstand blockierte, tat ich es eher schleppend. Die zwei Uhrmacher zogen mir manche Einzelheit förmlich aus der Nase. Je mehr mein Appetit nachließ, desto detaillierter wurden

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