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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der.
    »Keine falsche Bescheidenheit, Meister Gruber. Eure Nürnberger Ührlein sind der Gipfel unserer Kunst.«
    »Sie reichen nicht an Eure Taschenuhren heran. Ihre Ganggenauigkeit, heißt es, sei unübertroffen.«
    »Das mag stimmen, jedoch …«
    An dieser Stelle möchte ich darauf verzichten, in allen Einzelheiten zu schildern, wie sich die zwei Honig ums Maul schmierten. Es zählte zur orientalischen Tradition, bei der Begrüßung sein Gegenüber in erschöpfender Ausführlichkeit zu preisen. Als gebildeter Mann hatte Hans davon gehört und passte sich gerne den Sitten seines Gastes an – er schätzte Al-Din außerordentlich.
    Tatsächlich überrascht war er, als der Osmane vor ihm verschiedene Dokumente auf dem Tisch ausbreitete: die lateinischen Übersetzungen uralter Pergamente, welche aus Alexandria stammen sollten und angeblich bis ins erste Jahrhundert vor Christus zurückreichten. Außerdem entrollte er einen riesigen Konstruktionsplan aus zusammengenähten Tierhäuten. Die Zeichnung zeigte einen Mechanismus, wie ihn Meister Hans nie zuvor gesehen hatte. Er war zu sprachlos, um irgendetwas zu sagen. Minutenlang konnte man nur das Stimmengewirr der Uhren hören.
    »Glaubt Ihr, dass man sie bauen kann?«, fragte Al-Din endlich.
    »Wen? Die Weltenmaschine?« Hans hatte in den Manuskripten einiges über seltsame Naturphänomene gelesen, angeblich ausgelöst von einem Buch der Zeit. Das alles war ihm nicht geheuer. Er deutete auf eine Textstelle in einem der Pergamentblätter und antwortete ausweichend: »Sollten diese Worte wirklich von dem griechischen Philosophen Poseidonios stammen und stimmen , dann will ich es nicht völlig ausschließen.«
    Obwohl Al-Din die Schriften auswendig kannte, las er im Stillen noch einmal die Passage:
    Der Kosmos schwingt wie die Saiten einer Leier nach einer festen Ordnung, genauso wie ein Mechanismus aus unterschiedlich großen Rädern. Es müsste möglich sein, die Weltenformel für sich zu nutzen. In Gestalt einer Maschine.
    Der Osmane nickte. »Dieser Überzeugung bin ich schon lange. Ihr kennt nicht zufällig mein Werk Al-Turuq al-samiyya fi al-alat al-ruhaniyya ? Ich habe es vor dreißig Jahren veröffentlicht.«
    Hans fühlte sich unbehaglich wie ein ahnungsloser Schüler, der von seinem Lehrer nach dem Stammbaum Jesu Christi gefragt wird. Ausweichend antwortete er: »Mein Arabisch ist recht lückenhaft. Es besteht aus ungefähr zehn Worten.«
    Al-Din lächelte nachsichtig. »Der Titel – ›Die hohen Methoden der spirituellen Maschinen‹ – ist ein versteckter Hinweis auf eine damals schon in mir reifende Theorie. Ich bin überzeugt, dass nicht nur der Schöpfergeist Maschinen erschafft, sondern die Maschinen bereits im Sinn ihres Erschaffers eine Funktion erfüllen. Ihr versteht, was ich meine?«
    »Nein. Ich baue Uhren, keine Sinnmaschinen.«
    »Und was zeigen sie an?«
    »Die Zeit.«
    Al-Din schüttelte den Kopf. »Die Zeit an sich ist unwichtig. Erst durch das, was wir damit tun , zu tun gedenken oder auch zu tun versäumen, bekommt sie einen Sinn.«
    Hans kam sich im Vergleich zu dem Universalgenie immer kleiner vor. Er deutete missmutig auf die Dokumente, deren Echtheit ihm durchaus zweifelhaft erschien. »Wie seid Ihr überhaupt in den Besitz dieser Schriften gelangt?«
    Das sei eine lange Geschichte, antwortete Al-Din und berichtete, was er im Verlauf vieler Jahre herausgefunden hatte: von der Entdeckung des Diskus von Ys bis zum Entwurf des Konstruktionsplanes durch Poseidonios von Apameia und seinem Schüler Geminos von Rhodos.
    Nach einem Streit der beiden in Alexandria, in dem es um die Unbeherrschbarkeit der Weltenmaschine ging, kam es bei Geminos innerlich zum Bruch. Poseidonios und sein germanisches Mündel verschwanden spurlos während einer Reise nach Rom.
    In einer Art Vermächtnis, das er der Zeichnung beilegte, schilderte Geminos sein fruchtloses Unterfangen, die letzten Geheimnisse des Buches der Zeit zu lüften. Schlussendlich habe ihn das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verlassen, schrieb er. Deshalb stelle er den Diskus und sämtliche Unterlagen unter die Obhut der Alexandrinischen Bibliothek. Hoffentlich werde sich ihr ehrgeiziges Vorhaben nicht auf verhängnisvolle Weise gegen sie wenden.
    »Was ist aus Geminos geworden?«, fragte Hans.
    »Er verschwindet einfach im Dunkel der Geschichte. Gerüchte besagen, er sei zusammen mit Gnaeus Pompeius Magnus ermordet worden. Beweise gibt es dafür keine.«
    »Und Poseidonios?«
    »Ist

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