Der verbotene Schlüssel
Erscheinung eineher feinsinniger Mann von stiller und zurückhaltender Wesensart. Dies brachte der tägliche Umgang mit den filigranen Organen seiner Ührlein so mit sich. Obwohl er alles andere als aufbrausend war, ärgerte ihn doch die Dreistheit des Kunden, der so spät noch, zumal mitten in einem Schneesturm, bei ihm anklopfte. Alle Gesellen waren schon gegangen. Er selbst hatte ebenfalls gerade sein Tagwerk beenden wollen. Missmutig schlurfte er mit einem Talglicht zur Tür und öffnete sie.
Schneegestöber wehte in die Werkstatt. Die Kerze erlosch. Einen Moment lang sah Meister Hans nur wirbelnde Flocken in der Nacht. Dann tauchte daraus eine vermummte Gestalt auf. Der Mann war bis zum Kinn in einen Umhang gehüllt, hatte schwarze Augen, noch schwärzere buschige Brauen und eine rot gefrorene Nase. Auf seinem Kopf saß ein Turban. Er ließ den Fremden größer erscheinen, als er in Wirklichkeit war – auch im Nürnberg des Jahres 1581 sah man derlei Kopfbedeckungen eher selten.
»Salve!«, sagte er wie zum Auftakt eines Mysterienspiels aus biblischer Zeit. Dem lateinischen Gruß, der Heil und Gesundheit wünschte, folgten zur Überraschung des Meisters weitere Worte in der liturgischen Sprache der Heiligen Mutter Kirche.
»Mein Name ist Taqi al-Din«, stellte sich der Fremde wie selbstverständlich auf Latein vor. Wie er mir später verriet, wusste er genau, dass Meister Hans ihn verstehen konnte (um diese Geschichte nicht merkwürdiger zu machen, als sie ohnehin schon ist, werde ich sie im Folgenden stillschweigend für dich übersetzen). »Wärt Ihr so liebenswürdig und ließet mich ein? Andernfalls fröre ich mir lebenswichtige Körperteile ab.«
»Ihr wollt mich zum Narren halten«, entgegnete Meister Hans unwirsch. Er hielt den Mummenschanz für einen Scherz. Sich einen Turban zu wickeln, war schließlich kein Hexenwerk. Warum sollte der große osmanische Universalgelehrte Taqi al-Din ausgerechnet vor seiner Werkstatt stehen? Dafür gab es keinen vernünftigen Grund.
Der Mann mit der roten Nase stampfte mit beiden Füßen auf, um zu demonstrieren, dass seine Zehen schon am Absterben seien. So wie ich ihn später kennengelernt habe, wollte er sicher auch Ehrfurcht gebietend wirken. Dazu war Taqi al-Din allerdings zu klein und unter seinem Mantel viel zu mager. Seine leicht knarrende Stimme indes besaß die Strenge eines Menschen, dem man nichts zu erklären brauchte und der selbst gerne Anweisungen gab. Jetzt wurde sie drängender. »Meister Gruber, ich pflege keine Scherze zu treiben. Bitte lasst mich Euch darlegen, warum ich die mühevolle Reise von Konstantinopel auf mich genommen habe und Euch treffen will. Es ist eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit.«
Meister Hans argwöhnte umso mehr. Taqi al-Dins Berühmtheit reichte vom Orient bis zum Okzident. Er war Philosoph und Hochschulprofessor, islamischer Religionslehrer und Richter, in der Zahlenlehre bewandert wie kaum ein Zweiter, Sternenkenner und -deuter, Erfinder und Konstrukteur, ein erfahrener Arzt, Erforscher des Lichts sowie der ganzen belebten und unbelebten Welt. Wenn das Universalgenie aus der Hauptstadt des Osmanischen Reiches zu ihm nach Nürnberg gekommen wäre, dann – ja, dann wäre er für Hans Gruber vor allem eines: ein hoch zu achtender Zunftgenosse. Ein Meister der Uhrmacherkunst.
»Was wollt Ihr?«, fragte Hans. Er bemühte sich, seine Stimme etwas weniger misstrauisch klingen zu lassen.
»Ich möchte mit Euch die Welt verändern«, antwortete der Osmane.
Nur eine Kerze beleuchtete den Arbeitstisch des Meisters. Im Kamin war die Glut schon fast erloschen. Allmählich verlor sie den Kampf gegen die winterliche Kälte, die durch Ritzen und selbst durch die Mauern in die Werkstatt kroch. Der Geruch von Rauch, Talg, Holz und Öl lag in der Luft. Die Dunkelheit war durchwebt vom Ticken der Uhren. Sie standen auf dem Boden, hingen an den Wänden, vor allem aber lagen sie als winzige mal runde, oft eiförmige Wunderwerke auf den verschiedenen Borden in dem großen rechteckigen, ordentlich geputzten Raum.
Hans Gruber schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ihr geltet als genialer Uhrmacher«, sagte Taqi al-Din. Er hatte sich inzwischen seines Mantels entledigt. Darunter trug er einen gar nicht so orientalisch aussehenden schwarzen Rock, der seine Gelehrsamkeit ebenso betonte wie seine Zwergenhaftigkeit. Ohne den Turban hätte er Hans nur bis zur Brust gereicht.
»Das Gleiche wird von Euch behauptet«, entgegnete
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