Der verbotene Turm
solche Täuschung einfach nicht durchführen«, sagte Callista, »und ich möchte meinen Mann lieber in den Armen einer Frau wissen, die uns dies aus Liebe gibt – einer Schwester oder Freundin –, als bei einem Abenteuer mit einer Fremden.« Callista war ruhiger geworden, und Andrew hatte den Eindruck, seit das Gespräch sich von einem unmittelbaren Problem einer allgemeinen Frage zugewandt hatte, mache es ihr weniger Mühe. Er sagte: »Ich würde lieber sterben als dich verletzen.«
Wie er es vorhin getan hatte, zog sie seine Fingerspitzen an ihre Lippen und küßte sie ganz leicht. Sie lächelte. »Ach, mein Gatte, dein Tod würde mich schlimmer verletzen als alles, was du möglicherweise tun könntest.«
13
Andrew ritt durch schmelzenden Schnee. Immer noch fielen ein paar Flocken. Jenseits des Tales schimmerten die Lichter von Armida vor den Bergmassen. Damon sagte, es seien nur die Vorberge, aber für Andrew war es ein Gebirge, und zwar ein hohes. Er hörte die Männer hinter sich mit leisen Stimmen reden. Auch sie freuten sich auf Essen und Feuer und Zuhause, nachdem sie acht Tage unterwegs gewesen waren. Sie hatten die weiter entfernt gelegenen Weiden aufgesucht und festgestellt, welchen Schaden der große Blizzard angerichtet hatte, in welchem Zustand die Wege und die Tiere waren.
Andrew war es sehr angenehm gewesen, einmal mit Leuten zusammen zu sein, die seine Gedanken nicht lesen konnten. An das Leben in einer Telepathen-Familie hatte er sich immer noch nicht ganz gewöhnt, und so hatte er auch noch nicht gelernt, sich gegen ein zufälliges Eindringen in seine Gedanken zu schützen. Von den Männern kam nur ein oberflächliches Geriesel zu ihm durch, das keine Bedeutung hatte und ihn nicht störte. Aber jetzt freute er sich doch darauf, nach Hause zu kommen. Er ritt durch das Hoftor, und Diener eilten herbei, um ihm die Zügel abzunehmen. Das ließ er sich jetzt gedankenlos gefallen, obwohl es ihn manchmal, wenn er zum Nachdenken kam, immer noch etwas störte. Callista lief die Treppe hinunter und ihm entgegen. Er bückte sich und küßte sie leicht auf die Wange. Dann entdeckte er trotz der Dunkelheit im Hof, daß er Ellemir in den Armen hielt. In ihr Lachen über seinen Irrtum einstimmend, drückte er sie fest an sich und spürte ihren Mund unter seinem, warm und vertraut. Hand in Hand stiegen sie die Stufen hinauf.
»Wie geht es allen daheim, Elli?«
»Recht gut, nur Vater leidet an Atemnot und ißt wenig. Callista ist bei ihm, aber ich wollte nicht, daß du auf einen Willkommensgruß verzichten mußt.« Sie drückte leicht seine Hand. »Du hast mir gefehlt.«
Sie hatte auch ihm gefehlt, und ein Gefühl der Schuld stieg in ihm auf. Verdammt noch mal, warum mußte seine Frau ein Zwilling sein? Er fragte: »Was macht Damon?«
»Er ist sehr emsig«, sagte sie lachend. »Er vergräbt sich in den alten Aufzeichnungen der Domänen über Familienmitglieder, die Bewahrerinnen oder Techniker in den Türmen von Arilinn und Neskaya waren. Ich weiß nicht, wonach er sucht, und er erzählt es mir nicht. In den letzten zehn Tagen habe ich von ihm wenig mehr gesehen als du.«
Im Vorraum ließ Andrew seinen schweren Reitmantel von den Schultern gleiten und gab ihn dem Haushofmeister. Rhodri zog ihm die schneeverklumpten Stiefel aus und reichte ihm mit Pelz gefütterte, knöchelhohe Hausschuhe. Ellemir an seinem Arm, betrat Andrew die Große Halle.
Callista saß neben ihrem Vater. Als Andrew durch die Tür kam, legte sie ihre Harfe ohne Hast auf eine Bank und kam ihm entgegen. Sie bewegte sich langsam, und die Falten ihres blauen Kleides schleppten hinter ihr her. Gegen seinen Willen drängte sich ihm der Vergleich mit Ellemirs lebhafter Begrüßung auf. Dessen ungeachtet betrachtete er Callista wie verzaubert. Immer noch füllte ihn jede ihrer Bewegungen mit Faszination, Sehnsucht, Begehren. Sie reichte ihm die Hände, und die Berührung der kühlen Fingerspitzen verschlug ihm den Atem.
Zum Teufel, was war Liebe überhaupt?, fragte er sich. Er hatte immer geglaubt, Liebe zu einer bestimmten Frau schließe das Interesse an allen anderen aus. Aber welche liebte er nun? Seine Frau … oder ihre Schwester?
Behutsam hielt er ihre Hände. »Du hast mir gefehlt«, sagte er, und sie lächelte zu ihm auf. Dom Esteban sagte: »Willkommen daheim, Sohn. Harter Ritt?«
»Nicht so schlimm.« Da man es von ihm erwartete, beugte er sich nieder und küßte die hagere Wange des alten Mannes. Er sah blasser und gar
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