Der Verehrer
Gedanken las. Sie sah schlecht aus, fand er, aber das war natürlich kein Wunder. Er würde auch nicht gern auf der Abschußliste eines Robert Jablonski stehen.
Er stellte sein leeres Glas auf den Tisch zurück und erhob sich. »Ich muß gehen«, sagte er, »ich wollte Sie nur auf dem laufenden halten. Wenn sich irgend etwas Neues ergibt, erfahren Sie es selbstverständlich.«
Auch Wolfgang stand auf. »Ich bringe Sie zum Tor«, sagte er, ebenso höflich wie eisig.
Leona blieb sitzen, sah den beiden Männern nach, wie sie um die Hausecke verschwanden. Unweit von ihr sang eine Amsel in den höchsten Tönen. Der Kirschbaum mitten im Garten stand in voller Blüte. Es war ein vollkommener Tag. Er erfüllte Leona um so mehr mit Traurigkeit, als er so unverdrossen etwas vorgaukelte, was mit der Wirklichkeit nicht im mindesten im Einklang stand.
Als Wolfgang zurückkam, sagte er: »Ich weiß nicht warum, aber dieser Weissenburger ist ein Brechmittel für mich.«
Und Leona sagte: »Ich werde tun, was er vorgeschlagen hat. Ich werde untertauchen.«
Die Amsel verstummte. Wolfgang öffnete den Mund zum Protest, schloß ihn aber sofort wieder.
»Es ist meine einzige Chance, bis sie ihn gefaßt haben«, fuhr Leona fort. Sie lauschte in den plötzlich so still unter der Sonne liegenden Garten hinein. Das Frieren in ihrem Körper hatte sich verstärkt und die Hitzewogen, die irgendwo in ihrem Leib immer wieder geboren worden waren, ausgelöscht. Der Schweiß auf ihrer Haut war jetzt kalt.
Es klang sehr sachlich, als sie hinzufügte: »Ich glaube, ich habe sonst nicht mehr lange zu leben.«
ZWEITER TEIL
I
1
Sie ist weg!
Ich kann es nicht fassen. Ich habe aufgepaßt wie ein Luchs. Ich dachte, es würde ihr nicht möglich sein, einen Schritt zu tun, ohne daß ich es weiß. Sie ist eine raffiniertere Person, als ich dachte. Und ich bin, die ganze Zeit natürlich schon, in einer höchst schwierigen Situation. Wie soll man einen Menschen wirklich rund um die Uhr bewachen, wenn man ganz allein ist? Irgendwann muß man schlafen, muß man sich ausruhen. Einen solchen Moment hat sie genutzt, und ich habe es zuerst nicht einmal bemerkt. Gut möglich, daß sie schon zwei Tage weg war, ehe ich es mitbekommen konnte. Es macht mich rasend, rasend, rasend! Ich mußte mich übergeben, als mir klar wurde, daß der Faden zwischen uns abgerissen ist. Natürlich werde ich sie finden, das ist sicher. Ich habe auch Anna wiedergefunden, damals. Aber Anna war dümmer als Leona. Ich wußte, sie würde irgendwann nach Hause flüchten, und genau das tat sie. Hätte sie sich nicht ausrechnen können, daß ich sie dort aufspüren würde? Nein, offensichtlich nicht. Wie eine Maus ist sie brav in die Falle gehuscht.
Ich wußte gleich, daß Leona nicht zu ihrer Familie gegangen ist, aber sicherheitshalber habe ich dort nachgesehen. Warum müssen diese verdammten Menschen in einer solchen Einöde leben? Ich habe Stunden gebraucht, bis ich da
war, mit Zug und Bus und jeweils langen Wartezeiten an Bahnhof und Haltestellen. Ein Glück, daß es warm ist, ich hätte mir sonst den Tod holen können. Ich bräuchte dringend ein Auto! Kaufen kann ich keines, dann haben sie mich sofort. Mit einem gestohlenen Auto auch. Die Fahndung macht alles schwieriger. Viel schwieriger, als es bei Anna war. Da hat niemand nach mir gesucht. Ich konnte mich frei bewegen, offen meinen Namen nennen – auch wenn ich ihn, vorsichtshalber, bei dieser blöden Lisa nicht benutzt habe.
Aber ich schweife ab. Ich verwirre mich. Ich verwirre mich? Kann man das so sagen? Egal. Ich will keinen Literaturwettbewerb gewinnen, ich will etwas aufschreiben, damit ich nicht daran ersticke. Danach werde ich es wegwerfen. In einen Abfallkorb am Wegrand oder in einen Bach, der jetzt im Frühling eilig plätschernd dahinfließt. Nichts von alldem ist für die Nachwelt bestimmt. Es dient meiner Erleichterung und dem Ordnen meiner Gedanken. Ich habe das Gefühl, ich verliere den Boden unter den Füßen. Ich muß unbedingt klar, sachlich und logisch in meinem Denken und Handeln bleiben.
Ich fuhr also hinaus nach Lauberg, vor vier Tagen war das. Bin ja nur einmal dort gewesen, letztes Jahr an Weihnachten. Ich dachte damals das gleiche wie diesmal: Familienidylle pur, und nichts davon ist echt.
Im Frühling haben sie das Paradies dort, zugegeben. Der Garten blüht, daß man sich nicht satt sehen kann. Und daß man übrigens auch schwer hinein sehen kann. Auf der anderen Seite tarnen all die Büsche
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