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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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entdecken, er war vermutlich bei der Arbeit. Und Leona konnte ich natürlich ebenfalls nicht entdecken. Ihr Auto stand nirgendwo, aber sie wäre auch ganz sicher nicht so blöd gewesen, es hier groß und breit vor dem Haus zu parken. Im Verlag konnte sie nicht sein, den hatte ich tagelang beschattet, nicht einmal eine Maus wäre hineingekommen, ohne daß ich sie gesehen hätte. Nicht im Verlag, nicht in Lauberg. Aber das war klar gewesen.
    Ich hatte eine Überprüfung durchgeführt, um mir später keine Nachlässigkeit vorwerfen zu müssen, aber keinen Moment lang hatte ich geglaubt, sie hier zu finden. Eine anstrengende, überflüssige Reise, zudem gefährlich. Seitdem mein Bild immer wieder in den Zeitungen auftaucht, dürfte ich es eigentlich gar nicht mehr riskieren, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Nirgendwo mustern Menschen einander so ausdauernd und intensiv wie während langer, eintöniger Zugfahrten. Gut möglich, daß mich einer erkannt und die Polizei verständigt hat. Auf jeden Fall, zur Vorsicht, wählte ich für den Rückweg nach Frankfurt eine andere Strecke. Die war so absurd, daß mich niemand dort vermuten konnte. Dafür kostete sie auch das Dreifache an Zeit. Erst spät in der Nacht kam ich am Hauptbahnhof an. Völlig erschöpft, frustriert, ohne den kleinsten Hinweis in den Händen.
    Wo ist sie, wo ist sie, wo ist sie?

    Sie ging den kleinen Wiesenweg zum Dorf entlang, wie an jedem Morgen. Das Wetter war umgeschlagen in der Nacht. Bisher hatte die Sonne geschienen, jeden Tag, mit ungewöhnlicher Kraft für Mai. Leona hatte in Shorts und T – Shirt im Garten gelegen, auf einem wackeligen, altmodischen Liegestuhl, dessen gestreifte Stoffplane nach jahrealtem Sonnenöl und ein wenig nach modrigem Schuppen roch. Sie war barfuß im Garten herumgelaufen und hatte abends auf der Terrasse gesessen, ein Glas Wein neben sich und Zigaretten. Sie hatte das Rauchen vor Jahren aufgegeben, nun aber wieder damit angefangen. Das Rauchen minderte die Spannung. Vor allem am Abend, wenn die bevorstehende Nacht ihre langen Schatten, ihre erwachenden Stimmen, ihre Bedrohlichkeit voranschickte. Leona blieb draußen sitzen, hektisch rauchend, bis es dunkel war. Obwohl sie schon mit beginnender Dämmerung das Bedürfnis verspürte, sich im Haus zu verriegeln, Fenster, Türen, Läden zu schließen. Daß sie draußen blieb trotz der Angst, trotz des Vibrierens ihrer Nerven dicht unter der Haut, hatte etwas mit Trotz zu tun, mehr noch mit Selbsterhaltungstrieb. Robert hatte sie aus ihrem Haus gejagt und aus dem normalen Ablauf des Alltags. Er sollte sie nicht noch in ein Höhlentier verwandeln, das die vier Wände seines Erdlochs nicht mehr verläßt. Instinktiv spürte sie, daß ihre Angst eine Eigendynamik entwickeln würde, wenn sie ihr nachgab. Irgendwann würde sie keinen Fuß mehr vor die Tür setzen. Heute abend aber würde sie nicht draußen sitzen und ihre Angst niederkämpfen müssen. Es war kühl geworden, sogar etwas Nebel hatte am frühen Morgen über dem Land gelegen, und jetzt nieselte es aus den tiefliegenden, grauen Wolken. Das einsame, waldige Land erhielt einen trostlosen Anstrich unter dem schlechten Wetter. Regen und Kälte kamen Leona
bedrohlich vor. In einer Kammer des Hauses hatte sie eine gelbe Öljacke entdeckt und angezogen. An den Füßen trug sie Turnschuhe. Wenn der Regen länger anhielt und die Wege verschlammten, würde sie Gummistiefel kaufen müssen. Ärgerlich, daß sie nicht daran gedacht hatte, ihre eigenen mitzunehmen.
    Sie lief fast eine halbe Stunde, ehe sie das Dorf erreichte. Der Ort mochte kaum mehr als an die zwanzig Häuser zählen. Es gab eine Apotheke, überraschenderweise ein kleines Schuhgeschäft und einen Gemischtwarenladen, in dem man von Lebensmitteln über Gartenzubehör bis zu Kinderspielzeug nahezu alles kaufen konnte.
    Leona hätte nicht jeden Tag ins Dorf laufen müssen, sie hätte auch auf Vorrat einkaufen können, aber sie hing an diesem Kontakt zur Außenwelt, der ihr ein gewisses Gefühl von Normalität schenkte. Das Dorf war so überschaubar und heimelig wie Lauberg. Jeder kannte hier jeden, und jeder Tag schien so zu verlaufen wie der vorhergegangene. Der Briefträger radelte herum und grüßte freundlich, ein paar Hausfrauen standen immer zur selben Zeit an derselben Ecke und plauderten. Ein alter Mann führte seinen alten Hund spazieren. Die Dinge folgten einer tröstlichen Ordnung.
    An diesem Tag hatten Regen und Wind die Frauen von ihrem Tratsch an

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