Der Verehrer
wieviel ich hier in kurzer Zeit erledige.«
»Das ist doch zumindest ein positiver Aspekt!«
Sie sah das ganz sicher nicht so, aber sie widersprach nicht. »Ich brauche wieder Arbeit. Ich kann nicht hier sitzen und Däumchen drehen. Dann fange ich nur an zu grübeln. Außerdem müssen die Sachen ja irgendwie geschafft werden.«
»Ich halte es für zu gefährlich, dir etwas mit der Post zu schicken.«
»Du würdest das Paket doch am Schalter abgeben. Wann und wie sollte Robert denn einen Blick auf die Anschrift werfen können?«
Diesmal seufzte Wolfgang , seufzte, weil Leona recht hatte mit ihrem Einwand, weil das alles so irrsinnig war und weil er wußte, er würde es trotzdem nicht wagen, ein Paket an Leona abzuschicken. Wie weit dämonisierte er Jablonski bereits und verlor dabei die Realität aus den Augen?
»Außerdem müssen die Sachen, die ich fertig habe, an den Verlag zurück«, fuhr Leona fort. »Ich kann sie nicht wochenlang hier herumliegen lassen, verstehst du?«
Er verstand. »Aber du schickst sie nicht an den Verlag«,
beschwor er sie, »niemand dort braucht anhand des Poststempels zu wissen, wo du bist!«
»Aber …«
»Ich denke mir etwas aus«, versprach er, »irgendwie kriegen wir das alles hin.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte Leona: »Kann nicht jemand kommen und mir die Sachen bringen? Ich muß mit einem Menschen sprechen, Wolfgang. Nicht bloß am Telefon. Ich muß einen Menschen bei mir haben, für einen Tag wenigstens.«
Sie sprach sehr leise und sehr verzweifelt.
»Behalte die Nerven«, sagte Wolfgang, »mir wird etwas einfallen.«
Er fühlte sich elend nach Beendigung des Gespräches, schuldbewußt, so als ließe er einen Menschen im Stich, der ihn um Hilfe gebeten hatte.
Im Krankenhaus erfuhr er zu seiner Überraschung, daß Paul seit dem Vortag nicht mehr im Koma lag.
»Sie können ganz kurz zu ihm«, sagte die Stationsschwester, »aber regen Sie ihn nicht auf, hören Sie? Vor allem stellen Sie bitte keine Fragen zu dem Überfall auf ihn. Die Polizei wimmle ich auch ständig ab. Für diese Dinge ist es viel zu früh.«
Paul lag in seinem Bett und ähnelte noch immer einer Mumie mit all seinen Verbänden, die außer dem Gesicht kaum einen einzigen Zentimeter seines Körpers unbedeckt ließen. Er bekam Infusionen, war aber sonst an keine weiteren Apparate angeschlossen. Leona hatte von dem erschreckend starren Blick seiner weit geöffneten Augen erzählt. Dieser war verschwunden. Paul nahm an seiner Umwelt wieder Anteil.
Neben seinem Bett saß Carolin. Sie trug ziemlich abgewetzte Jeans und hatte sich die Haare in einem Rotton gefärbt,
mit dem sie ihrer Schwester Olivia ähnlich sah. Sie musterte Paul mit aufrichtiger Besorgnis, was um so bemerkenswerter war, als sich die beiden nie gemocht hatten. Sie hatte Obst mitgebracht, Fruchtsaft und Zeitschriften. Paul würde das Obst nicht essen, den Saft nicht trinken, die Zeitschriften nicht lesen können. Aber das sterile Krankenzimmer hatte einen heimeligen Anstrich bekommen, und vielleicht, dachte Wolfgang, hilft ihm das.
Carolin kam ihm entgegen, umarmte ihn. Er hatte sie auch nie besonders gemocht, niemand mochte Carolin uneingeschränkt, weil sie mit ihrer Lebensweise bei Menschen, die arbeiteten und sich anstrengten, zwangsläufig immer wieder Anstoß erregen mußte. Aber Wolfgang fand es sympathisch, daß sie hier bei einem Mann, den sie nie hatte leiden können, am Krankenbett saß und sich offenbar wirklich Kummer um ihn machte.
»Hallo, Wolfgang«, sagte sie, »schön, daß du da bist! Gerade heute, wo Paul endlich aufgewacht ist. Du kannst dir gar nicht denken, wie erleichtert wir alle sind!«
»Doch, das kann ich. Ich bin selber zutiefst froh, daß es so gekommen ist.«
Wolfgang trat näher an das Bett heran. Sein Schwager blickte ihn an.
»Guten Abend, Paul!« Unwillkürlich wisperte er. »Wie fühlst du dich?«
Paul öffnete den Mund, aber es kam nur ein undeutliches Lallen heraus.
»Er hat Probleme mit dem Sprechen«, erklärte Carolin. »Der Arzt sagt, das wird er in einer Reha-Klinik ganz von neuem lernen müssen.«
Paul versuchte erneut, Worte zu formen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. Er kämpfte, aber Zunge und Lippen schienen ihm nicht gehorchen zu wollen.
»Nicht reden«, sagte Carolin, »du bist noch zu schwach!«
Unter größter Mühe hob Paul die Finger seiner rechten Hand. Ermattet ließ er sie wieder sinken, während ihm der Schweiß bereits in Strömen über das
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