Der Verehrer
Aber es scheint sich alles ja länger hinzuziehen, als wir dachten. Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, daß Robert einfach auf den Zeitfaktor setzt. Er weiß, daß sich Leona nicht ewig verstecken kann. Er braucht nur abzuwarten.«
»Er kann sich auch nicht ewig verstecken.«
»Unter Umständen aber länger als Leona. Er hat nichts
zu verlieren. Keinen Beruf, keine Familie. Er wird psychisch viel besser durchhalten als sie.«
»Seine Psyche spielt verrückt, Carolin.«
»Mag sein, aber seine Verrücktheit gibt ihm auch eine Menge Kraft.«
Carolin schien sich tatsächlich Gedanken gemacht zu haben, und ihr klarer Blick für die Dinge verwunderte Wolfgang sehr.
»Er ist so … so durchdrungen von seinen Gefühlen für Leona, daß er ihnen alles unterordnet. Seine Gefühle mögen krank sein, aber sie sind stark. Sie werden ihn eine ganze Reihe von Widrigkeiten ertragen lassen.«
»Dafür hat er andere Probleme. Von irgend etwas muß er leben. Laut Leona hat er nicht viel Geld. Seine Mittel werden rasch zur Neige gehen.«
»Der Sommer steht vor der Tür. Das ist die Jahreszeit, in der man draußen aushalten kann. Als Bettler auf der Straße, als Penner auf der Parkbank. Wolfgang«, sagte sie eindringlich, »er hat gute Karten!«
Wolfgang kippte seinen Whisky hinunter und widerstand dem Bedürfnis, sich einen dritten zu bestellen.
»Warum erklärst du mir das? Was willst du? Was soll ich tun?«
»Leona braucht seelische Unterstützung. Sag mir, wo sie ist. Ich will zu ihr.«
»Das ist zu gefährlich. Wir haben es mit einem wirklich gerissenen Mörder zu tun. Wir sollten kein Risiko eingehen. «
»Aber sei doch mal realistisch, Wolfgang. Robert ist ganz allein. Wie soll er uns denn alle überwachen? Das ist ihm doch gar nicht möglich. Leona konnte entkommen. Warum sollte er mir folgen?«
»Ich weiß es nicht.«
Er konnte ihr tatsächlich keine logische Antwort auf ihre Frage geben. Robert hatte mit Sicherheit nicht die Möglichkeiten und die Fähigkeiten, die er ihm in seinen Gedanken zuordnete. Er hatte ihn zu einem Monster hochstilisiert und in Gedanken mit überirdischen Fähigkeiten ausgestattet. Robert konnte überall zugleich sein, konnte fliegen, hellsehen, durch Wände gehen. Das war barer Unsinn und räumte ihm mehr Macht über sie alle ein, als ihm zukam. Und dennoch … sein Verstand sagte ihm dies alles. Sein Gefühl blieb beherrscht von der Angst.
»Wolfgang«, sagte Carolin, »frag sie. Du telefonierst doch täglich mit ihr. Frag sie, was sie denkt. Ob sie mich bei sich haben möchte. Sie soll das entscheiden!«
Er sah Carolin nachdenklich an. »Mich wundert, daß du dich so engagierst. Ich habe gar nicht gewußt, daß du so an Leona hängst.«
Carolin zog mit ihrem Kaffeelöffel Spuren in die Tischdecke, starrte auf die Linien und Kreise.
»Vielleicht wußte ich es selber nicht so genau, bis diese Geschichte passierte«, sagte sie. »Weißt du, Leona war für mich immer mehr als nur eine Schwester. Sie war ja schon fast erwachsen, als ich geboren wurde. Ich konnte mich nie über mangelnde Zuwendung beklagen, ich hatte eine wahnsinnig fürsorgliche Mutter und eine Haushälterin, die uns auch von morgens bis abends begluckte. Aber irgendwie war ich von Anfang an der Rebell in der Familie, und diejenige, die mich immer verstand, war Leona. Das heißt nicht, daß sie immer einverstanden war mit allem, was ich tat, sie hat mir manchmal ganz schön den Kopf gewaschen. Aber wenn ich richtigen Mist gemacht hatte, konnte ich zu ihr kommen. Mami hat ja in solchen Fällen nur immer wie ein waidwundes Reh dreingeblickt, man kam sich vor wie ein Verbrecher, wenn man sie mit einer
Hiobsbotschaft konfrontierte. Leona hingegen hatte gute Nerven und war nicht so leicht zu erschüttern. Sie schimpfte mit mir, aber dann half sie mir, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Es ist eigenartig«, sie sah endlich von ihren Schlangenlinien auf und schaute Wolfgang an, »aber mir ist klargeworden, daß ich auch heute noch zuerst zu ihr gehen würde, wenn etwas schieflaufen würde in meinem Leben. Ich brauche sie. Deshalb habe ich so einen Haß auf diesen Robert. Und Angst um sie. Ich will bei ihr sein und ihr helfen!«
Wolfgang nickte. »Ich verstehe. Ich werde mit ihr sprechen. « Er winkte dem Kellner, um die Rechnung zu bezahlen, und sagte: »Ich fahre dich zum Bahnhof.«
Sie lächelte. Sie hatte ein hübsches Lächeln, fand er, das war ihm vorher nie aufgefallen.
»Merkwürdig«, sagte er, »heute
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