Der Verehrer
Briefkasten und verschwindet für eine Weile im Haus. Sicher gießt sie die Blumen. Am liebsten würde ich einmal hinter ihr herhuschen. Nichts stehlen natürlich. Aber eine lange, heiße Dusche nehmen, das wäre ein Traum.
Zu gefährlich! Ich darf keinerlei Aufmerksamkeit erregen. Hier fährt immer noch ab und zu eine Streife vorbei, viel seltener allerdings als vorher. Das war auch ein Indiz dafür, daß Leona nicht mehr da ist.
Das schlimme am Leben draußen ist, daß man so schnell verwahrlost. Mein aufladbarer Rasierapparat hat noch eine Weile funktioniert, seit vorgestern geht nichts mehr. Außerdem fange ich an zu stinken und habe Laub und Gras
in Haaren und Kleidern. Die Leute glotzen dich an, wenn du wie ein Penner herumläufst, besonders hier in dieser feinen Gegend, und angeglotzt zu werden ist das letzte, was ich mir leisten kann. Gestern bin ich ins Hallenbad gegangen, bin zwei Runden geschwommen, habe dann geduscht und meine Haare gewaschen. Aber die Frau an der Kasse hat mich ziemlich angewidert gemustert und sicher überlegt, ob sie mich überhaupt hineinlassen soll. Ein zweites Mal kann ich das wahrscheinlich nicht machen.
Mein Geld reicht noch für eine Weile. Ich ernähre mich in der Hauptsache von Hotdogs, die ich an Straßenbuden kaufe, oder ich gehe zu McDonald’s. Im Gedrängel dieser Fast-food-Filialen ist die Gefahr, daß man mich erkennt, am geringsten. Trotzdem gehe ich nie an zwei oder drei aufeinanderfolgenden Tagen in dieselbe Kneipe. Eine knappe Woche muß schon zwischen zwei Besuchen liegen.
Ich müßte dringend ein Auto haben! Dringend! Ich muß beweglicher sein. Angenommen, Wolfgang , der kleine Scheißer, macht sich plötzlich auf den Weg, Leona zu besuchen. Ich könnte nicht hinterher. Ich kann ihn ja nicht einmal zu seiner Arbeit verfolgen und sehen, ob er unterwegs bei Leona vorbeischaut. Was er wahrscheinlich nicht tut, weil er ja nicht weiß, daß ich zwischen diesen verdammten Büschen im Garten festsitze. Im Moment überschätzen die alle meine Möglichkeiten ganz sicher.
Eines nicht mehr fernen Tages werden sie sie unter schätzen!
2
Es war Pflichtbewußtsein, was Wolfgang bewog, seinen Schwager Paul in der Klinik zu besuchen. Im Grunde würde es nichts bringen, denn Paul lag nach wie vor im
Koma und würde es nicht registrieren, ob er Besuch bekam oder nicht. Aber sie gehörten schließlich zur selben Familie, auch wenn sie nicht verwandt waren, und er mochte nachher nicht der einzige sein, der sich nie auf der Intensivstation hatte blicken lassen.
Er schaffte es, eine Stunde früher als sonst vom Sender wegzukommen, und fuhr direkt von dort zum Krankenhaus. Unterwegs hielt er bei einer Telefonzelle an, um Leona anzurufen. Sie war sofort am Apparat. Ihre Stimme klang deprimiert.
»Es gibt wahrscheinlich nichts Neues?« fragte sie gleich nach der Begrüßung. »Sie haben keine Spur von Robert, stimmt’s?«
»Leider. Obwohl man natürlich nicht weiß, ob sie uns über jeden ihrer Schritte Rechenschaft ablegen. Vielleicht sind sie dichter an ihm dran, als wir ahnen.«
»Ich habe dir schon mal gesagt, er ist klug. Er wird sich nicht so leicht fassen lassen.«
»Und ich habe dir gesagt, daß die Polizei auch nicht dumm ist.«
»Die werden aber nicht ewig nach ihm fahnden.«
»Er hat zwei bestialische Morde auf dem Gewissen. Er ist eine lebende Zeitbombe, und das wissen die. So schnell geben die nicht auf.«
Sie seufzte, und Wolfgang konnte ihre ganze Hoffnungslosigkeit aus diesem Seufzer heraushören. Offenbar hatte sie heute einen schlechten Tag. Manchmal klang sie durchaus optimistisch, aber seit drei Tagen schien sie mehr und mehr in einen Zustand der allmählichen Zermürbung zu fallen. Angst und Einsamkeit mußten sie langsam verrückt machen. Sie saß in dieser Einöde ohne jeden menschlichen Kontakt, lauschte dem Ticken der Uhr und ihren eigenen Atemzügen und war sich stets der Tatsache
bewußt, daß irgendwo draußen ein wahnsinniger Mörder Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Sie durfte keine Verbindung zu ihrer Familie aufnehmen, und der Umstand, daß niemand das Ende dieser Situation absehen konnte, mußte ihre Verzweiflung noch schüren.
»Was hast du heute getan?« fragte er mit einer bemühten Unbekümmertheit in der Stimme, die ihr signalisieren sollte, daß er zumindest an einen raschen, guten Ausgang des Dramas glaubte.
»Ich habe mein letztes Manuskript fertig redigiert. Es ist unwahrscheinlich,
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