Der Verehrer
zu können.
Ob es die Psychologen interessieren wird, daß Eva und ich immer Geschenke bekommen haben nach den Auseinandersetzungen unserer Eltern? Beiden tat es dann nämlich entsetzlich leid, was geschehen war. Mama schämte sich für ihr Geschrei und ihre Gewalttätigkeiten, und Vater wußte natürlich nur zu gut, daß er nicht ständig mit anderen Weibern hätte ins Bett steigen dürfen. Als Schadensbegrenzungsmaßnahme wurden Spielzeug, Bücher, Platten, einmal sogar Fahrräder für die verstörten Kinder gekauft … Eva und ich fanden das natürlich gut. Wenn es zwischen unseren Eltern richtig losging, saßen wir oben in unserem Zimmer und beratschlagten, was wir uns diesmal wünschen würden. Unsere Vorstellungen von angemessener Wiedergutmachung nahmen immer unverschämtere Ausmaße an, aber es kamen keine Beschwerden deswegen.
Eva sagte manchmal ängstlich: »Meinst du nicht, sie werden jetzt sauer?«
Aber ich beruhigte sie dann immer: »Die sind nur froh, wenn sie ordentlich tief ins Portemonnaie greifen dürfen. Das erleichtert ihr Gewissen.«
Und so war es auch.
Ich schweife ab. Ich sollte weniger an meine zukünftigen Gespräche mit den Gefängnispsychologen denken, auch
nicht an meine und Evas Kindheit. Ich muß mich auf die Gegenwart konzentrieren. Ich muß Leona finden.
Zwei Dinge sollten meine Überlegungen primär beherrschen:
Ich muß ein Auto haben.
Ich muß mich an die Fersen der richtigen Person heften.
Um mit dem zweiten Punkt zu beginnen: Ich sitze im falschen Gebüsch! Das wurde mir heute früh klar. Es war wieder einmal ein absolut beschissenes Aufwachen, jeder Knochen tat mir weh, und ich fror erbärmlich. Es nieselte, als ich durch das Fenster meiner Hütte hinauskroch und zum Gebüsch hinüberhuschte. Gerade als ich zwischen Blättern und Zweigen hindurch zu Leonas Haus blinzelte, kam ihr Gatte zur Tür heraus, schön adrett in seinem grauen Anzug, dezente Krawatte, frisch rasiert und frisch geduscht, ausgeschlafen nach einer Nacht in einem warmen, weichen Bett. Aber an diese Ungerechtigkeit dachte ich nicht in jenem Moment. Statt dessen schoß mir eine Erkenntnis durch den Kopf: Er führt mich nicht zu Leona. Er garantiert nicht. Er rechnet damit, daß ich in der Nähe bin, daß ich ihn beschatte. Er wird notfalls an jeden Ort der Welt gehen – aber nie an den, wo Leona sich tatsächlich aufhält!
Mir wurde ganz schwindelig, so als hätte ich eine unglaubliche Entdeckung gemacht. Dabei hatte ich bloß eine schlichte, logische Schlußfolgerung gezogen, die ich mit ein bißchen Nachdenken schon viel früher hätte ziehen können. Wolfgang Dorn ist ein Scheißkerl in meinen Augen, aber er ist kein Dummkopf. Er wird kein Risiko eingehen. Er ist der überlegte Typ, der auf Sicherheit setzt und jeden Schritt dreimal durchdenkt, ehe er ihn tut. Das sieht man schon an seinem Äußeren. Edles Understatement. Möglichst nirgends anecken.
Leona könnte halb verrückt werden in ihrem Versteck, er wird ihr nur erklären: »Wir müssen vorsichtig sein, Schatz! Dieser Jablonski ist ein ganz gefährlicher Kerl. Ein Geisteskranker. Du mußt noch eine Weile allein aushalten. Ich wette, er überwacht jeden meiner Schritte. Den Gefallen, ihn zu dir zu lotsen, sollten wir ihm keineswegs tun!«
Wolfgang Dorn stieg in sein Auto und fuhr davon, und ich saß in meinem tropfenden Gebüsch und dachte, was für ein Trottel ich doch gewesen war. So viel Zeit! Vertan für nichts und wieder nichts!
Ich muß sehr genau nachdenken. Sehr, sehr genau. Ich muß die richtige Person finden und observieren. Natürlich kann mich meine Intuition trügen, aber ich würde fast darauf wetten, daß Leona schon ziemlich weichgekocht ist. Ich kenne meinen Liebling. Sie kann nicht gut allein sein, vor allem dann nicht, wenn sie getrennt ist von allem, was zu ihrem Leben gehört. Von ihrer Familie, ihrem Haus, ihrer Arbeit, ihren Kollegen. Leona ist ein ganz anderer Mensch, als es Anna war. Anna konnte in die Welt hinausziehen und alles hinter sich lassen, was bis dahin ein Teil von ihr gewesen war. Anna, das habe ich zu spät bemerkt, war im Grunde eine bindungslose kleine Schlampe. Leona hingegen ist ein Mensch mit sehr, sehr tiefen Wurzeln. Weggerissen zu sein von den Menschen und Dingen, an denen ihr Herz hängt, muß eine Qual bedeuten für sie. Sie wird jemanden brauchen, der ihr Händchen hält.
Ich muß einen kühlen Kopf bewahren und sehr logisch denken. Ich habe nicht mehr allzuviel Zeit. Ich darf keinen
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