Der Verehrer
selber gejagt.«
Das allgegenwärtige Argument. Die Polizei sucht Robert und wird ihn finden. Es wunderte Leona, wieviel Vertrauen die Menschen in ihrer Umgebung augenscheinlich in die Polizei hatten.
»Was Sie brauchen, Leona«, fuhr Bernhard fort, »ist einfach
einmal ein Mensch, der mit Ihnen spricht, der Sie aufmuntert. Sie werden ja verrückt so ganz allein. Wie ist es? Ich komme Sie gern besuchen!«
Es war verlockend, überaus verlockend. Dennoch zögerte sie.
»Ich weiß nicht. Ich habe Angst, daß …«
»Leona, ich werde aufpassen, ich verspreche es Ihnen. Niemand wird mir folgen. Ich könnte Freitag nachmittag aufbrechen und bis Sonntag bleiben.«
Zwei Tage und zwei Nächte mit Bernhard Fabiani in diesem einsamen Haus. Neben allen anderen Problemen könnten sich aus dieser Situation auch einige Komplikationen ergeben.
»Lassen Sie sich von Robert nicht derart in die Enge treiben«, drängte Bernhard, »sagen Sie mir, wo Sie sind, und wir machen uns ein paar schöne Tage.«
Draußen rauschte der Regen. Dunkelheit und Stille senkten sich wie Bleigewichte auf Leonas Gemüt. Sie nannte ihm ihre Adresse, beschrieb ihm, wie der Ort zu finden war. Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten und Leona den Hörer aufgelegt hatte, brach sie in Tränen aus.
Gegen dreiundzwanzig Uhr rief Wolfgang an. Wie immer aus einer Telefonzelle. Leona konnte im Hintergrund den Verkehr rauschen hören.
»Du meldest dich spät«, sagte sie und wußte, daß sie quengelig klingen mußte.
»Tut mir leid. Ich war noch im Krankenhaus. Paul ist aus dem Koma erwacht.«
»Was?« Das war endlich einmal eine rundum gute Nachricht. »Wie geht es ihm?«
»Er ist noch sehr schwach. Er kann nicht sprechen, aber das kommt nach Ansicht der Ärzte in Ordnung. Jedenfalls
nimmt er seine Umwelt wieder wahr. Er hat mich eindeutig erkannt.«
»Gott sei Dank! Ich bin so froh, Wolfgang. Etwas Schöneres hättest du jetzt gar nicht erzählen können!«
»Ich habe noch ein besonderes Geschenk für dich«, sagte Wolfgang, und seiner Stimme war anzuhören, daß er sich freute, Leona endlich einmal nicht völlig deprimiert zu erleben.
»Carolin wird dich besuchen. Am nächsten Wochenende.«
»Carolin?«
»Ich habe sie im Krankenhaus getroffen. Wir haben etwas getrunken miteinander, und sie hat mich von der ersten bis zur letzten Minute damit bearbeitet, daß sie dich sehen will. Zuerst war ich völlig dagegen, aber später, auf dem Bahnhof, fing sie wieder damit an, und schließlich hat sie mich überzeugt, daß keine Gefahr besteht, wenn sie sich vorsichtig verhält. Ich habe ihr gesagt, wo du bist. Wie findest du das?«
Carolin. Ihre kleine Schwester mit den unmöglichen Klamotten, den häufig wechselnden Haarfarben, der arbeitsscheuen Lebenseinstellung und den schnorrenden Lovern. Die Schwester aber auch, die mit Optimismus und Lebensfreude ausgestattet war.
»Na, sag doch was!« drängte Wolfgang.
Sie mußte Bernhard Fabiani absagen. Wenn Carolin am Wochenende kam, konnte er nicht kommen, das stand fest.
»Ich freue mich«, sagte sie. Es klang mechanisch.
»Also – etwas mehr Begeisterung hätte ich schon erwartet«, meinte Wolfgang gekränkt. »Möchtest du nicht, daß sie kommt?«
»Natürlich möchte ich das. Es ist alles in Ordnung. Ich freue mich wirklich.«
Außer ihr und Wolfgang wußten jetzt zwei weitere Menschen,
wo sie sich aufhielt. Carolin und Bernhard Fabiani. Die feste Absprache, die sie und Wolfgang getroffen hatten, war löchrig geworden. Wie rasch man doch schwach werden konnte, dachte sie.
Auf einmal hatte sie das sichere Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Und Wolfgang ebenfalls. Sie hätten niemanden einweihen dürfen.
Das birgt ein Verhängnis, dachte sie und erschrak vor der Klarheit, mit der sich dieses Wissen in ihr ausbreitete.
»Wolfgang«, sagte sie, und zum ersten Mal seit Tagen klang ihre Stimme nicht mehr schwermütig, sondern sehr fest und sicher. »Sag Carolin, daß sie auf keinen Fall kommen soll. Vergiß mein Gejammere. Sie darf nicht kommen, hörst du? Sie darf nicht kommen!«
3
Ich könnte den ganzen Tag über ihren Namen singen. Leona, Leona, Leona! Ich mag ihren Namen, habe ihn von Anfang an gemocht. Nachdem ich die letzte Woche in einer tiefen Depression verbracht habe, bin ich auf einmal guten Mutes. Ich spüre, daß ich Leona bald wiedersehen werde. Niemandem könnte ich erklären, woher dieses Wissen rührt, aber es ist stark und erfüllt mich mit Ruhe und Gelassenheit.
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