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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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konnte absolut nachvollziehen, was in ihr vorging. Wahrscheinlich hätte er in ihrer Lage genauso empfunden.
    Etwas schroff entgegnete er: »Es gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich …«
    »… sich um die seelischen Probleme der Angehörigen von Mordopfern zu kümern? Natürlich nicht, das weiß ich ja. Ich will Sie wirklich nicht als Schuttabladeplatz für meinen Psychomüll mißbrauchen. Ich bitte Sie nur, mir zu helfen, mit einer Person Kontakt aufzunehmen, die Jablonski gekannt hat und bereit wäre, mit mir über ihn zu sprechen.«
    »Das ist nicht so einfach.«
    »Könnten Sie es nicht versuchen?«
    Ihre Augen waren groß und golden wie Bernstein. Hülsch fragte sich, warum er das Gefühl nicht los wurde, irgendwie für dieses Mädchen verantwortlich zu sein.
    »Ich kann es versuchen«, sagte er unbehaglich, »aber ich kann Ihnen nichts versprechen. Ich kann Ihnen auch nicht einfach die Telefonnummer von jemandem geben, der Jablonski kennt, und Ihnen sagen, rufen Sie dort an. Das verstehen Sie, ja? Die betreffenden Leute müßten einverstanden und ihrerseits an einem Gespräch interessiert sein.«
    »Natürlich. Vielleicht jemand aus dem Haus, in dem er in Ascona gelebt hat? Wenn Sie mir da die Adresse …«
    »Nein. Das kann ich nicht.« Er stand auf, um zu signalisieren, daß er das Gespräch nun zu beenden wünschte. »Sie hören von mir. Darauf können Sie sich verlassen.«
    Er überlegte, inwieweit Lisa eine verletzte Seele war, die
Hilfe brauchte, und inwieweit auch eine knallhart kalkulierende Frau, die ihre Reize einsetzte, um sich durchzusetzen. Man mußte nur an die Art ihres Broterwerbs denken. Andererseits waren da die deutliche Blässe unter ihrer Schminke und etwas Unruhiges, Gepeinigtes in ihren Augen.
    Und überhaupt, sagte er sich, solltest du gar nicht so viel über sie nachdenken.
    »Vielen Dank«, sagte sie, reichte ihm die Hand, lächelte und stöckelte dann aus dem Zimmer.
    Ihr Parfüm hing für die nächsten zwei Stunden im Raum und nötigte jedem Kollegen Hülschs, der hereinkam, ein Grinsen und einen unvermeidlichen Kommentar ab.
     
    Es war äußerst schwierig gewesen, Bernhard den Plan, über das Wochenende zu ihr zu fahren, wieder auszureden.
    »Wieso denn nur?« hatte er mindestens fünfmal gefragt. »Ich verstehe einfach nicht, weshalb Sie mich auf einmal doch nicht sehen wollen!«
    Leona verfluchte einmal mehr ihre Schwäche an jenem Abend.
    »Ich habe es Ihnen doch schon gesagt«, erklärte sie geduldig am Telefon, »mir ist die Geschichte zu riskant. Es war dumm von mir, bei Ihnen anzurufen. Es gibt eine Absprache zwischen Wolfgang und mir: Kein Mensch erfährt meinen Aufenthaltsort. Wir haben uns etwas dabei gedacht, als wir diese Vereinbarung getroffen haben. Wir sollten jetzt dabeibleiben.«
    »Also – ich habe noch selten etwas so Dummes wie diese Vereinbarung gehört! Entschuldigen Sie, Leona, aber wie wollen Sie das alles denn durchstehen? Ich war ja durchaus auch dafür, daß Sie untertauchen, bis der Spuk
vorbei ist, aber nun scheint das ja eine längere Geschichte zu werden. Über kurz oder lang drehen Sie durch, wenn Sie sich da in dieser gottverlassenen Einöde vergraben! Sie können Ihr seelisches Gleichgewicht überhaupt nur dadurch wahren, daß Sie ab und zu einen Menschen sehen, der Ihnen nahesteht!«
    Und du stehst mir nahe? dachte sie. Zunehmend ging er ihr auf die Nerven. Sie hatte gesagt, er solle nicht kommen. Er hätte das akzeptieren müssen, ohne lange herumzulamentieren.
    »Vielleicht will ich gar nicht unbedingt mein seelisches Gleichgewicht wahren. Vielleicht will ich das alles gar nicht allzulange durchstehen.«
    Von der anderen Seite der Leitung folgte konsterniertes Schweigen. Dann sagte Bernhard: »Mag sein, daß ich auf dem Schlauch stehe, aber ich kapiere wirklich nicht, was das jetzt soll!«
    Sie hätte ihm gerne gesagt, daß sie nicht vorhabe, ihm etwas zu erklären, und daß er keineswegs kapieren müsse, was in ihr vorging, aber sie wußte, daß sie sich als erste an ihn gewandt hatte. Ihn nun auf dem Hals zu haben war die Strafe, der sie sich nicht so einfach entziehen konnte.
    »Bernhard, ich will einfach allein sein. Ich will nachdenken. Am Ende war es gar keine so gute Idee, mich zu verstecken, und eben das will ich herausfinden. Ich könnte das alles eine ganze Zeit aushalten, wenn ich Wochenende für Wochenende Menschen zu Besuch kommen ließe, die mich ablenken und aufmuntern, aber wo soll das am Ende hinführen? Ich habe das

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