Der Verehrer
Schmerz sie nicht anspringen und seine Krallen in sie schlagen.
»Du tust jetzt so«, sagte sie, »als sei es das Schlimmste auf der Welt, für das ganze Leben mit immer demselben Menschen zusammenzusein. Dabei war das unser gemeinsamer Traum. Wir haben immer…«
»Nein«, unterbrach er. Seine Stimme klang jetzt hart und schroff. »Wir hatten keinen gemeinsamen Traum. Du
hattest einen Traum. Einen verdammten romantischen Traum von der perfekten Beziehung. Vom lebenslangen Glück. Vom Zusammen-alt-Werden und im Laufe langer, langer Lebensjahre zur unverbrüchlichen Gemeinschaft zusammenwachsen. Der Begriff Scheitern kam in deiner Lebensplanung nie vor.«
»In wessen Lebensplanung kommt schon der Begriff Scheitern vor?« fragte Leona mit trockenem Mund.
»Vielleicht kommt nicht der Begriff vor. Aber die Möglichkeit. Man hat nicht das Gefühl, in einem Korsett zu sitzen, aus dem man schon deshalb nicht herausdarf, weil man sonst einen anderen Menschen der Illusionen berauben würde, ohne die er nicht leben kann.«
»Und ich bin in deinen Augen ein Mensch voller Illusionen? «
»Du kannst vielleicht gar nicht anders sein. Mit dieser Familie im Hintergrund, in der sich alle umklammern, lieben, zusammenhalten … aber deine Schwestern haben zumindest, jede auf ihre Art, rebelliert. Du nicht. Du hast die Wünsche deiner Eltern übernommen und erfüllst sie. Mit deinen einundvierzig Jahren, Leona, bist du heute genau so, wie du mit fünfzehn gewesen bist.«
Kaum hatte er diese Worte gesagt, wußte er, daß er damit zu hart gewesen war. Obwohl überzeugt, recht zu haben, hätte er das Gesagte gern zurückgenommen. Er hatte plötzlich den fast brutalen Wunsch verspürt, ihre Traumwelt, in der er sich über so viele Jahre eingesperrt gefühlt hatte, zu zerschlagen, und nun schämte er sich für dieses primitive Bedürfnis.
Sie war zusammengezuckt, und ihre Blässe hatte sich, wenn überhaupt möglich, noch vertieft.
»Ich meine«, versuchte er zu relativieren, »es hat sich einfach nichts geändert, was deine Vorstellung vom Leben
angeht. Darin scheinst du irgendwie … ein kleines Mädchen zu bleiben. «
Sie sahen einander an, ratlos, hilflos, er fast überwältigt von dem Bedürfnis, ihr alles an den Kopf zu werfen, was ihm an ihr und am gemeinsamen Leben nicht paßte, nie gepaßt hatte; sie hingegen kämpfte noch immer darum, seinen Vorsprung einzuholen, sie war überrascht worden und dadurch ins Hintertreffen geraten, sie fand sich in der Situation nicht zurecht.
Das Telefon läutete genau im richtigen Moment.
Wolfgang nahm ab, erleichtert, daß etwas geschah, das die Spannung löste. Es war Lydia Behrenburg, die Leona sprechen wollte.
»Hallo, Leona, wie geht es Ihnen?« Lydia klang recht munter und aufgekratzt. Evas Tod hatte eine tiefe Lücke in ihr Leben gerissen, und irgendwann würde die Einsamkeit wieder eine katastrophale Bedeutung für sie gewinnen, aber zunächst war einige Abwechslung in ihr eintöniges Dasein getreten. Sie war von der Polizei und von Journalisten befragt worden, hatte sich wichtig machen können. Insgesamt hatte sie einen unerwartet interessanten Sommer gehabt.
»Leona, Robert Jablonski ist für einige Tage hier. Er muß Evas Wohnung auflösen. Es ist eine Heidenarbeit, wirklich!«
Lydia mischte offenbar eifrig mit. Sicher auch unter dem Gesichtspunkt, sich das eine oder andere hübsche Stück aneignen zu können, dachte Leona etwas gehässig.
»Robert kam nun auf die Idee, Sie zu fragen, ob Sie nicht auch herüberkommen und sehen wollen, ob Sie etwas brauchen können«, fuhr Lydia fort. »Er kann unmöglich alles behalten, aber es tut ihm auch leid, Dinge wegzuwerfen oder in fremde Hände zu verkaufen.«
»Ich weiß nicht…«
»Kommen Sie doch gleich! Sie haben es ja nur ein paar Straßen weit.«
Heute abend, in ihrer Verfassung … Das war ausgeschlossen.
»Lydia, heute abend ist es schlecht, ich … mein …« Sie brach ab.
»Mein Mann«, hatte sie sagen wollen und konnte das Wort plötzlich nicht aussprechen. Ihr Mann, der bald ihr Exmann sein würde. Eva hatte sich umgebracht, weil sie den Verlust nicht hatte ertragen können.
»Oh, kommen Sie, geben Sie sich einen Ruck!« rief Lydia. Es hörte sich an, als lade sie zu einer fröhlichen Party ein, nicht zur Haushaltsauflösung einer Selbstmörderin.
Roberts tiefe, ruhige Stimme drang an Leonas Ohr, offenbar hatte er Lydia den Hörer aus der Hand genommen. »Leona? Hier ist Robert. Sie müssen natürlich nicht
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