Der Verehrer
Boden.«
»Ich hab’ dir gesagt, bis Ende August weiß sie es. Dazu stehe ich.«
»Dann bleibt dir nur noch der heutige Abend.«
»Ich weiß.«
Sie streckte ihren Arm über den Tisch, berührte sanft seine Hand. »Wenn du es erst morgen oder übermorgen in Angriff nimmst, bin ich dir bestimmt nicht böse. Du brauchst dir und ihr nicht den Sonntagabend zu verderben. «
»Es wird nicht leichter, indem ich es vor mir herschiebe«, sagte er gereizt.
Draußen krachte ein Donner. Gleich darauf tauchte ein Blitz die Küche in gleißende Helligkeit. »Ich wollte es ihr im Juli sagen. Ich war wirklich felsenfest entschlossen. Aber dann ist diese verdammte Geschichte passiert mit der Frau, die aus dem Fenster gesprungen ist. Leona war so durcheinander danach. Ich konnte ihr nicht mit der Eröffnung kommen, daß ich eine andere Frau liebe und mich scheiden lassen möchte.«
»Hat sie sich inzwischen erholt?«
»Nicht wirklich. Die Geschichte geht ihr eigenartig nahe. Aber darauf kann ich natürlich nicht ewig Rücksicht nehmen.«
Nicole stellte ihre leere Tasse mit einem lauten Klirren ab. »Vielleicht ist sie raffinierter, als du denkst. Sie ahnt, daß etwas nicht stimmt. Nun macht sie auf arme, geschockte
Frau, der man nicht noch mit anderen Unannehmlichkeiten das Leben schwermachen darf.«
Wolfgang fühlte sich ein wenig verärgert. Er liebte Nicole, aber er hatte durchaus auch noch Gefühle für Leona.
»Ich habe nicht den Eindruck, daß sie mir etwas vorspielt«, sagte er scharf. »Es ist ganz sicher nicht besonders lustig mit anzusehen, wie eine Frau aus dem Fenster springt und direkt vor einem auf dem Asphalt aufschlägt. Es war wirklich Pech, daß sie gerade vorbeikommen mußte.«
Er stand auf. Es hatte keinen Sinn zu warten, daß sich die Dinge von allein erledigten. Leona hatte das Recht auf Wahrheit. Nicole hatte das Recht auf eine geklärte Situation. Er hatte das Recht, endlich wieder ohne schlechtes Gewissen herumzulaufen. Er hatte sich selten in seinem Leben so elend gefühlt.
Er hatte gedacht, es würde ihm bessergehen, sobald es erst gesagt wäre. Irgendwo, in einem kindischen, idiotischen Winkel seines Gehirns, hatte er die vage Hoffnung genährt, alles würde ganz problemlos verlaufen, sobald nur erst die Wahrheit das Tageslicht erblickt hatte. Leona würde kooperativ und vernünftig sein und Dinge sagen wie: »Du hast ganz recht, zwischen uns ist nichts mehr, wie es war. Ich denke, es ist gut, wenn wir einen Schlußstrich ziehen. Laß uns Freunde bleiben!«
Oder sie würde sofort aggressiv werden, ihn beschimpfen, ihm die Tür weisen. Es hätte ihm geholfen, von ihr hinausgeworfen zu werden. Sie als tobende Furie zu erleben.
Sie tobte nicht, und sie sagte zunächst auch nichts. Sie war blaß geworden und saß nun stumm da – völlig geschockt, wie ihm schien. Er sagte sich, daß er ein Trottel gewesen war zu hoffen, dies alles könne glimpflich ablaufen.
Er hatte ihr dreizehn Jahre Ehe vor die Füße geworfen, darüber hinaus dreizehn weitere Jahre romantischer, naiver Jugendliebe. Naiv war das Wort, das er heute für die Gefühle von damals fand. Wenn man mit fünfzehn Jahren beschließt, einander zu heiraten, wenn man es mit achtundzwanzig Jahren schließlich tut und dabei der Überzeugung ist, niemals etwas zu vermissen, niemals insgeheim andere versäumte Gelegenheiten zu betrauern – dann war man ein Tor. Dann hatte man eine falsche Vorstellung vom Leben und mußte zwangsläufig irgendwann Schiffbruch erleiden.
Er betrachtete Leona; in seinem Blick lag eine Zärtlichkeit, die er schon lange nicht mehr für sie empfunden hatte. Es war die Zärtlichkeit, die man für einen Menschen hegt, mit dem man so viele Jahre verbracht hat, daß die Liebe zu ihm längst gleichbedeutend mit der Liebe zu einem wichtigen Teil des eigenen Lebens geworden ist.
Mit Leona, das wurde Wolfgang in diesem Moment bewußt, würde er stets die Erinnerung an gute Jahre verbinden – an die Discoausflüge als Teenager, das Ende der Schulzeit, das Studentenleben, an seine Anfänge als Volontär bei einem Fernsehsender, seinen Aufstieg zum leitenden Redakteur. Mit ihr hatte er die Freude über den ersten Gehaltsscheck geteilt, und mit ihr hatte er Sekt getrunken, als er befördert wurde. Auf Studentenfesten hatten sie ganze Nächte durchgetanzt, und wann immer ihre Vorlesungen gleichzeitig begannen, waren sie Hand in Hand zur Uni gelaufen. Ihm fiel plötzlich der Tag ihrer Hochzeit ein, aber sofort verdrängte
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