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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dürfen. Er hätte das Blut stoppen müssen, anstatt sich in eine sinnlose Mund-zu-Mund-Beatmung zu flüchten.
    Er sagte das nie, aber ich wußte, daß diese Gedanken in seinem Kopf herumspukten. Er wollte um Gottes willen nicht über Mama sprechen, und so kommentierte er meine Fürsorge gegenüber Eva nie wieder.
     
    Auf jener Reise wurde Ronco geboren, das paradiesische Ronco, das von da an in meiner und Evas Phantasie einen festen Platz hatte.
    Wir entdeckten das Haus auf einem Spaziergang, der uns auf einem Wanderweg hoch über dem See bis eben nach Ronco führte. Es war Anfang Oktober und noch sehr warm. Wir waren lange gelaufen und schon ziemlich erschöpft. Eva wirkte abgekämpft, und ich hatte das Gefühl,
sie irgendwie aufmuntern zu müssen. Die ganze Reise machte ihr nicht sonderlich viel Spaß, das hatte ich längst gemerkt. Sie mochte das Zimmer in der schäbigen Pension nicht, das ich für uns gemietet hatte, und sie langweilte sich, weil ich sie daran hinderte, abends herumzuziehen, sich zu amüsieren und interessante Leute kennenzulernen. An manchen Tagen verhielt sie sich deshalb bockig wie ein kleines Kind. Dieser Tag war so ein Tag.
    »Blöde Wanderung«, murrte sie, während wir die heiße, staubige Straße entlangtrotteten, die uns nach Ronco führen sollte. »Mir tun schon die Füße weh, und ich habe Hunger!«
    »Dir kann es nichts schaden, mal ein bißchen hungrig zu sein«, meinte ich boshaft, »du hast ziemlich zugelegt in der letzten Zeit.«
    Das stimmte, und sie wußte es. Jeden Morgen stöhnte sie, wenn sie sich in ihre Jeans zwängen mußte.
    »Du solltest froh sein, daß ich dich zum Laufen zwinge«, fuhr ich gnadenlos fort, aber sie schaute mich schließlich so verletzt an, daß ich ein schlechtes Gewissen bekam.
    »Schau mal«, sagte ich, »was für ein wunderschönes Anwesen! «
    Wir sahen zunächst nur das Dach des Hauses, das sich linker Hand unter uns befand, auf eine Terrasse im Felsen gebaut. Das Grundstück schien sich, Terrasse um Terrasse, den halben Berg hinunter zu erstrecken. Palmen, Obstbäume und Blumen wucherten wild durcheinander, in einer wahren Orgie von Farben und Duft. Dazwischen sah man steinerne Bänke, Gartentische und Stühle. Irgendwo glitzerte blau das Wasser eines Swimmingpools.
    Eva war tatsächlich beeindruckt und hörte auf zu nörgeln.
    »Wie schön«, sagte sie hingerissen.
    »Wollen wir mal in den Garten gehen?« fragte ich.

    Sie zögerte. »Wenn die Bewohner aber wütend werden…«
    »Ach, vielleicht sind die gar nicht da! Alles ist so ruhig. Ich wette, niemand ist daheim!«
    Ich nahm einfach ihre Hand und zog sie hinter mir her. Das Tor ließ sich ohne Probleme öffnen. Steile, felsige Stufen führten zum Haus hinunter. Zweige streiften unsere Gesichter. Eine Echse huschte erschrocken davon und verschwand in einer moosigen Felsspalte.
    »Das Paradies«, flüsterte ich ehrfürchtig.
    Ich hatte mich nicht getäuscht: Es war niemand zu Hause. Das Anwesen lag ruhig und verlassen in der Mittagssonne, die grünen Fensterläden waren geschlossen. Weit unten träumte der Lago Maggiore, darüber hoben sich die Berge in den Himmel.
    Ich hielt immer noch Evas Hand, während wir durch den Garten, der eigentlich ein Park war, wanderten, Treppe um Treppe hinunterstiegen und uns nicht satt sehen konnten an der Blumenpracht, die uns überall empfing. Eine verwitterte, kleine, italienische Marmorbank lud uns zum Hinsetzen ein, und so saßen wir dort und schauten über den See. Ich dachte, wie wunderbar es sein müßte, hier mit Eva zu leben, in dieser Stille und Schönheit.
    »Ich möchte einmal genug Geld verdienen, um dir ein solches Anwesen kaufen zu können«, sagte ich verträumt.
    »Quatschkopf«, entgegnete Eva. »Wenn du so viel Geld hättest, würdest du dir ein solches Anwesen kaufen, nicht mir !«
    »Uns« , korrigierte ich mich bereitwillig, » uns würde ich es kaufen!«
    »Da möchte ich dann deine Frau hören!« meinte Eva und lachte.
    Sie klang unsicher dabei. Ich sah sie an, und ihr wurde offenbar unbehaglich zumute. Sie zog ihre Hand aus meiner und stand auf.

    »Komm«, sagte sie, »gehen wir weiter!«
    Wir entdeckten einen kleinen, von gewaltigen Rhododendronbüschen umgrenzten Kinderspielplatz. Ein Sandkasten, eine Schaukel, eine Wippe, ein Klettergerüst. Eine gelbe kleine Gießkanne lag auf einem einsamen Gartenstuhl, der neben dem Sandkasten stand.
    Eva lebte auf. »Schau nur! Wie wunderbar! Welch ein herrlicher Platz für Kinder! Stell dir

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