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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und quer über den Mund geklebt und mit einem
Mullverband, der sich mehrfach um den Kopf herumwindet, verstärkt. Sie liegt auf dem Sofa und schwitzt vor Angst. Ihre Augen quellen hervor, und sie stößt eigenartige Kehlkopflaute aus. Irgend etwas will sie mir wahrscheinlich sagen, aber, ehrlich gesagt, das interessiert mich im Augenblick überhaupt nicht. Das Gegurgele nervt mich nur etwas. Wenn sie nicht bald damit aufhört, schaffe ich sie ins Schlafzimmer und lasse sie dort allein.
    Als ich vorhin nach dem Baden wieder ins Wohnzimmer kam, mit nichts bekleidet als einem Handtuch um die Hüften, da bekam sie ein hysterisches Flackern in den Augen und wurde kalkweiß. Ob sie schon jemals einen halbnackten Mann gesehen hat? Ich nehme an, sie fürchtete, ich wolle sie vergewaltigen. Eher würde ich kotzen! Ich habe selten eine so unattraktive Frau gesehen wie Lydia, das fand ich schon früher, wenn ich Eva besuchte und wir mindestens einen Abend mit ihrer gräßlichen Freundin verbringen mußten. Entweder gingen wir zu ihr, oder sie kam zu uns, und dann saß sie da und himmelte mich die ganze Zeit über an. Ich vermute, sie hatte mich ernsthaft in ihre Liste möglicher Ehekandidaten aufgenommen. Laut Eva tat sie das allerdings mit jedem Mann. Die Hoffnung, jemanden zu finden, der sie heiratet, hat sie nie aufgegeben.
    Ich muß so stark an Eva denken, hier in dem Haus, in dem sie gelebt, in der Wohnung, in der sie sich so oft aufgehalten hat. Es ist, als wäre hier noch etwas von ihr, etwas von ihrer Seele, ihrem Geist. Ich kann sie ohnehin nie als das sehen, was sie jetzt ist – Gebein, das in einem Sarg in der Erde liegt. Ich sehe sie nicht einmal so, wie sie in den letzten Jahren war, so depressiv und verstört, immer im Schlepptau dieser scheußlichen Frau, deren erstickender Zuwendung sie sich nicht entziehen konnte, weil ihr die Kraft dazu fehlte.

    Ich sehe sie, wie sie früher war, als wir zusammen auf dem Dachboden unseres schäbigen Reihenhauses saßen und uns Ronco ausdachten.
    Ein ehemaliger Schulfreund hatte mir eine Karte aus Ascona geschickt, wo er Ferien gemacht hatte, und das Bild der schneebedeckten Berge und des leuchtendblauen Sees davor ließ mich nicht mehr los.
    »Da möchte ich einmal leben«, sagte ich, als ich Eva die Karte zeigte. Sie war siebzehn und hungrig nach Leben; Berge und Seen vermochten sie kaum zu reizen.
    »Da?« fragte sie gedehnt. »Was willst du denn da? Ich würde viel lieber in New York leben!«
    Mich stimmte das traurig, wie alles, was auf unsere charakterliche Unterschiedlichkeit hindeutete. Ich kaufte mir einen Reiseführer über das Tessin und las so oft darin, daß ich mich schließlich dort unten wirklich auszukennen meinte. Zum Abitur hatte ich von Vater einen größeren Geldbetrag bekommen, und davon lud ich Eva zu einer Reise nach Ascona ein. Anfangs hatte sie keine rechte Lust, und auch Vater sah den Plan offensichtlich nicht gern.
    »Hast du nicht eine Freundin, die du mitnehmen kannst?« fragte er mich.
    Er wußte, daß ich keine hatte, aber vielleicht meinte er, ich würde ein Mädchen wie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern, wenn er nur danach fragte. Den Gefallen konnte ich ihm leider nicht tun.
    »Eva hat sich die Reise so gewünscht«, log ich.
    Vater machte ein sorgenvolles Gesicht, aber das machte er eigentlich immer seit Mamas Tod. Das Herumstreunen in fremden Betten hat er übrigens von einem Tag zum anderen aufgegeben. Was seiner Linie nicht bekam; er hatte etliche Kilo zugelegt und einiges an Attraktivität verloren.
    »Du verbringst ziemlich viel Zeit mit deiner Schwester«,
sagte er vorsichtig. »Du hast gar keine Freunde, triffst dich nie mit anderen Leuten. Das ist ungewöhnlich, mein Junge. Du … blockierst auch Eva dadurch, möglicherweise. «
    Was er gesagt hatte, traf mich tief, aber ich wußte den Schlag abzufangen.
    »Du hast offenbar nicht mitbekommen, wie sehr Mamas Tod Eva traumatisiert hat«, entgegnete ich sehr ernst. »Sie klammert sich an mich, und ich denke, es ist meine Pflicht, mich um sie zu kümmern.«
    Dieser Satz brachte Vater in dieser Angelegenheit für immer zum Schweigen. In Wahrheit war er nämlich traumatisiert durch Mamas Tod. Man hatte ihn von jeder Verantwortung freigesprochen, aber ich wußte, daß er sich selbst nicht freizusprechen vermochte. Er hätte das Messer rechtzeitig sehen müssen. Er hätte es Mama entreißen müssen, ehe sie Unheil damit anrichten konnte. Er hätte dem Notarzt nicht die falsche Adresse sagen

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