Der Verehrer
Er erwischte schließlich ihre beiden Handgelenke, hielt sie eisern umklammert.
»Sag ihr, daß das so keinen Sinn hat«, verlangte er, an Leona gewandt. »Sie stellt sich besser gut mit mir.«
Leona hatte Carolin von ihm weggezerrt.
»Hör auf!« zischte sie. »Damit erreichst du gar nichts. Du mußt jetzt ruhig bleiben!«
»Sehr richtig.«
Robert strich seine Hose glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
»Wir sollten wie erwachsene Menschen miteinander umgehen.«
»Wie erwachsene Menschen!«
Carolin ballte die Fäuste. Sie zitterte wie Espenlaub am ganzen Körper.
»Ist es erwachsen, ein kleines Kind zu entführen? Willst ausgerechnet du ….«
»Carolin, das bringt jetzt nichts.« Leona legte den Arm um ihre Schwester.
Sie sah Robert kalt an. »Ich nehme an, du hast ihn irgendwo versteckt. Geht es ihm gut?«
»Natürlich geht es ihm gut. Ich würde einem Kind kein Haar krümmen.«
Carolins Zittern wurde stärker. »Ich höre mir das nicht mehr an«, stieß sie hervor. »Ich werde jetzt sofort die Polizei anrufen.«
Sie riß sich von Leona los und wollte an Robert vorbei ins Haus.
»Das ist eine ziemlich dumme Idee, Carolin«, sagte Robert. »Du kannst die Polizei natürlich verständigen, aber dann wird niemals – hörst du? – niemals jemand erfahren, wo Felix ist.«
Carolin blieb stehen und drehte sich langsam zu Robert um.
»Du mußt es sagen«, flüsterte sie, »der Polizei mußt du es sagen.«
Er lächelte. »Ich habe absolut nichts mehr zu verlieren. Ich würde schweigen wie ein Grab.«
Das Wort Grab jagte Leona einen Schauer über den Rücken.
»Der blufft doch nur!« sagte Carolin.
»Laß es drauf ankommen«, entgegnete Robert ruhig.
»Die Polizei wird eine riesige Suchaktion starten. Sie wird ihn finden.«
Er wiederholte: »Laß es drauf ankommen.«
»O nein«, flüsterte Carolin und sank auf der Treppe in sich zusammen, vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Was willst du, Robert?« fragte Leona.
»Gehen wir doch erst einmal ins Haus«, schlug er vor.
Und so saßen sie nun um den Tisch: Carolin, die wie zerbrochen schien; Robert, der damit prahlte, wie einfach es gewesen war, das Kind zu entführen; und Leona, die sich immer wieder sagte, daß sie unter allen Umständen die Nerven behalten mußte.
Bleib ruhig, bleib ruhig, befahl sie sich wortlos.
»Du hast uns gesehen, wie wir zu dem Fest am Weiher
gegangen sind«, sagte sie. »Wie lange beschattest du mich schon?«
»Ist das wichtig?«
»Es würde mich interessieren.«
»Noch nicht lange. Ich bin deinem Liebhaber gefolgt. Professor Fabiani. Der Mann, der seine Finger nicht von den Frauen lassen kann.« Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Mit dem hättest du dich nicht einlassen sollen, Leona. Der Typ ist chronisch geil. Solche Männer gefallen den Frauen, weil sie ihnen das Gefühl geben, begehrenswert und unheimlich verführerisch zu sein. Manchmal stürzen sie sie aber auch ins Unglück.«
»Dann bist du seit Donnerstag da.«
»Richtig.«
So sachlich wie möglich fragte sie: »Ich war die ganze Zeit im Garten, auf der Terrasse. Warum bist du da nicht erschienen? Ich war völlig allein.«
Er zuckte mit den Schultern. »Nenn es Intuition. Ich wußte, daß sich mir noch irgendeine besondere Gelegenheit bieten würde. Ich dachte allerdings eher, daß der Windhund Fabiani hier noch einmal aufkreuzen könnte. Du hast ihn ganz gut abblitzen lassen, und ich war überzeugt, das läßt der nicht auf sich sitzen. Mir fallen ein paar schöne Dinge ein, die ich dann mit ihm angestellt hätte. Aber statt seiner kam Carolin und brachte den Kleinen mit – na ja, das Schicksal mischt die Karten immer anders als man denkt, nicht? Auf einmal war ganz klar, was ich zu tun hatte.«
Er will mich nicht töten, dachte Leona, das hätte er längst tun können. Er hatte jede Gelegenheit dazu.
Sie dachte an die langen, warmen Vormittagsstunden des gestrigen Tages, die sie schlafend im Liegestuhl verbracht hatte. Vielleicht hatte er hinter ihr gestanden. Er
hätte nur die Hand ausstrecken müssen … Ein Zittern am ganzen Körper kündigte sich an. Sie preßte die Hände auf dem Schoß ineinander.
»Wie konntest du Bernhard folgen?« fragte sie. »Hast du ein Auto?«
»Natürlich habe ich ein Auto. Denkst du, ich bin ihm auf einem Fahrrad hinterhergestrampelt?«
»Aber woher …?«
Hatte er Geld? Hatte er es riskiert, einen Wagen zu kaufen? Wie konnte er das, wenn gegen ihn ein Haftbefehl lief, wenn nach ihm mit
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