Der Verehrer
gleich nach Hause aufbrechen.«
Sie konnte sehen, wie enttäuscht Tim war. Sie kam sich unfreundlich und böse vor. Die beiden jungen Männer hatten stundenlang beim Suchen geholfen. Nun bot sie ihnen nicht einmal einen Kaffee an, vermittelte ihnen statt dessen nur das Gefühl zu stören.
»Ist wirklich alles in Ordnung, Leona?« fragte Jens, der sie unverwandt aufmerksam beobachtete.
»Natürlich. Ich bin nur völlig erschöpft, das ist alles. Ein paar Stunden Schlaf, und es geht mir wieder gut.«
Die Jungen verabschiedeten sich. »Grüßen Sie Carolin von mir«, sagte Tim.
»Das mach’ ich. Ganz bestimmt.«
Sie sah ihnen nach, wie sie den Garten verließen, dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. Carolin kam gerade mit einem Tablett aus der Küche.
»War das Tim?« fragte sie.
»Ja. Mit Jens. Ich habe beiden gesagt, daß Felix wieder da ist.«
Sie trat an den Tisch, blieb davor stehen.
»Robert, sag jetzt endlich, was du willst. Laß uns diese ganze verdammte Geschichte zu irgendeinem Ende bringen, und gib uns das Kind zurück!«
Er lächelte schon wieder. Sie wünschte, sie könnte ihm mitten in dieses grinsende Gesicht hineinschlagen. Es hätte sie befriedigt zu sehen, wie das Lächeln verrutschte.
»Also?« fragte sie.
Langsam drückte er seine Zigarette auf einem der Unterteller aus, die Carolin auf den Tisch gestellt hatte.
»Wir bringen gar nichts zu Ende«, sagte er sanft. »Wir beide beginnen endlich unser gemeinsames Leben.«
5
Lisa wachte schon um sechs Uhr auf. Sie wußte nicht, was sie geweckt hatte, denn der Sonntagmorgen war still und von einem schläfrigen Frieden. Eigentlich war sie eine Langschläferin. Es mochte an ihrer inneren Unruhe liegen, daß sie heute den Eindruck hatte, keine Minute länger im Bett bleiben zu können.
Während sie sich anzog, versuchte sie sich an den Traum zu erinnern, der die Nacht begleitet hatte. Er war quälend gewesen, soviel wußte sie noch, aber sie bekam seine Einzelheiten nicht mehr zusammen. Ihr Vater hatte eine Rolle gespielt, und Kommissar Hülsch. Die beiden waren immer wieder ineinandergeflossen und hatten traurig und besorgt dreingeblickt. Und sie, Lisa, war durch einen Wald gelaufen, einen Wald, dessen Bäume immer höher und dichter wurden, je weiter sie vorankam. Sie lief um ihr Leben und wußte dabei, daß sie keine Chance hatte, denn weiter vorn schlossen sich die Tannen zu einer dichten, unüberwindlichen Mauer zusammen.
Nicht darüber nachdenken, befahl sie sich, dieser Traum gehört zu den Dingen, die du aus deinem Leben entfernen willst. Deshalb bist du hier.
Fertig angezogen, ging sie leise die Treppe hinunter. Unten im Haus rührte sich nichts. Die Wirtin schlief wohl noch; ob andere Gäste da waren, wußte Lisa nicht.
Sie verließ das Haus, atmete draußen tief durch. Sogar in der Großstadt war die Luft an diesem Morgen frisch und klar, gespeist vom Sauerstoff der waldigen Höhen des Taunus. Der Tag würde wieder heiß und stickig werden, vielleicht sogar noch heißer als der Vortag. Lisa hatte ein Bahnticket und eine Platzreservierung für den Zug um
vierzehn Uhr. Am Abend hatte sie eine berufliche Verabredung mit irgendeinem Pharmavertreter, der sich am Telefon wie ein Brechmittel angehört hatte. Normalerweise machte ihr das nichts aus; die Brechmittel erwiesen sich häufig als besonders großzügig, weil sie unbedingt mit ihrem Geld protzen mußten. An diesem Tag hätte Lisa das Date jedoch gern abgesagt. Sie verspürte einen Anflug von Kopfschmerzen, wenn sie nur daran dachte.
Natürlich landete sie wieder bei Lydia. Sie hatte gar nicht genau auf den Weg geachtet oder auf die Richtung, die sie einschlug, aber wie von unsichtbaren Fäden gezogen, war sie zu dem Haus gegangen, vor dem sie am Tag zuvor schon mehrfach vergeblich gestanden hatte. Wieder blickte sie an der ihr nun schon vertrauten Fassade hinauf.
Es stimmte etwas nicht, da war sie sich nun ganz sicher.
Sie klingelte wieder und wieder und wieder. Nach einigen Minuten wurde ein Fenster im fünften Stockwerk geöffnet. Eine ältere Frau mit völlig verstrubbelten Haaren lehnte sich hinaus.
»Wer sind Sie?« rief sie. »Was wollen Sie?«
Lisas Herz begann wie rasend zu schlagen. »Sind Sie Lydia Behrenburg?« fragte sie hoffnungsvoll.
»Nein. Ich wohne neben Frau Behrenburg. Leider kann ich ziemlich genau hören, wenn bei ihr geklingelt wird. Sagen Sie, müssen Sie am Sonntag um diese Uhrzeit einen solchen Lärm machen?«
»Entschuldigen Sie bitte. Aber
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