Der Verehrer
war, als es plötzlich mit einer Taschenlampe angestrahlt wurde. Ab und zu stießen sie auch auf andere Suchtrupps, aber sie bekamen immer nur die gleiche entmutigende Nachricht mitgeteilt: »Nichts. Wir haben nichts gesehen.«
Bis um halb vier war das gesamte Waldstück abgesucht. Carolin meinte, Felix könne schließlich noch weiter gegangen sein, in angrenzende Wälder hinein oder über die Weiden und Wiesen. Tim hielt das für unwahrscheinlich.
»Er ist ein fünfjähriges Kind! So viel Kraft hat er doch gar nicht. Er hätte sich längst irgendwo völlig erschöpft hingesetzt und wäre eingeschlafen.«
»Ich möchte jetzt die Polizei verständigen«, weinte Carolin, »wir haben schon viel zuviel Zeit verstreichen lassen.«
»Paß auf«, sagte Leona, »wir haben noch eine kleine
Chance. Er könnte zum Haus zurückgelaufen sein. Da hat bisher noch niemand nachgesehen. Wir gehen jetzt dorthin. Wenn er da nicht ist, rufen wir die Polizei an, okay?«
Carolin nickte, sie schluchzte jetzt so, daß sie nicht sprechen konnte. Leona legte den Arm um ihre Schulter. Tim und Jens machten Anstalten, ihnen zu folgen, aber Leona schüttelte den Kopf.
»Besser, wir sind jetzt mal allein. Sie ist völlig mit den Nerven runter.«
»Aber …«
»Kommt morgen früh vorbei, ja? Und danke – für das schöne Fest und für die Hilfe!«
Statt der üblichen Viertelstunde brauchten sie knapp sieben Minuten für den Weg zum Haus. Carolin jagte vorneweg, Leona rannte hinterher. Der Gedanke, Felix könnte schon daheim auf der Veranda sitzen, hatte von Carolin Besitz ergriffen.
»Beeile dich doch!« fauchte sie Leona einmal an, und diese keuchte: »Ich beeile mich ja! Aber ich will mir nicht alle Knochen brechen!«
Das Haus lag still, dunkel und verlassen in der ersten noch grauen Morgendämmerung. Der neue Tag würde so schön und sommerlich werden wie der vergangene; keine Wolke hing am Himmel, an dem Mond und Sterne ganz langsam zu verblassen begannen, und am östlichen Horizont zeigte sich ein hauchfeiner rötlicher Lichtstreifen. Tau lag über dem Gras des Gartens. Carolin riß die Pforte auf, stürmte am Haus vorbei zur rückwärtigen Veranda. Leona folgte ihr auf dem Fuß.
Und dann blieb Carolin so abrupt stehen, daß Leona gegen sie prallte; so hart, daß beide um ein Haar zu Boden gestürzt wären.
»Warum …«, setzte Leona an, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie riß die Augen auf.
Auf den Stufen zur Veranda saß Robert Jablonski und lächelte sie an.
»Es war überhaupt nicht schwer, an das Kind zu kommen«, sagte Robert lässig. »Ich hätte nie gedacht, daß sich das Schicksal so gewogen zeigen würde. Daß die liebe Carolin hier aufkreuzen und auch noch Felix mitbringen würde …«
Sie saßen um den Eßtisch im Wohnzimmer. Carolin, kalkweiß und mit roten Augen, war völlig in sich zusammengesunken. Sie hielt ihre Hände ineinander verkrampft und starrte auf das Blumenmuster der Tischdecke. Sie schien betäubt und zu Tode erschöpft.
»Ich habe mich einfach unter die vielen Leute da am Teich gemischt«, fuhr Robert fort, »müssen an die hundert Gäste bei der Party gewesen sein, oder? Jedenfalls fiel ich überhaupt nicht auf. Ich beobachtete Felix und merkte, daß sich ständig die verschiedensten Leute mit ihm beschäftigten. Also würde es niemand komisch finden, wenn ich mich ein wenig seiner annahm.«
»Du hast ihn mit dir weggelockt«, sagte Leona.
Robert nickte. »Er kannte mich ja noch von Weihnachten. Er freute sich, mich zu sehen. Ich erzählte ihm etwas von einer Überraschung, und er kam sofort mit.«
Carolin hob den Blick, sah Robert an. Sie schien etwas sagen zu wollen, fand aber nicht die Kraft, und senkte die Augen wieder.
Sie hatte geschrien und getobt, war mit beiden Fäusten auf Robert losgegangen.
»Hallo, Leona«, hatte er gesagt und sich von der Treppenstufe erhoben, »hallo, Carolin!«
Leona hatte sofort begriffen.
»Wo ist Felix?« hatte sie mit scharfer Stimme gefragt, und Ungläubigkeit war auf Carolins Zügen erschienen.
»Das wird noch für eine Weile mein Geheimnis bleiben«, antwortete Robert.
Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, dann hatte Carolin verstanden.
»Du verdammtes Schwein!« sagte sie. »Du gottverdammtes Schwein, wo ist mein Sohn? Was hast du mit ihm gemacht? Wo ist er?«
Als Robert keine Antwort gab, brüllte sie los: »Wo ist er? Wo ist er? Wo ist er?«
Sie stürzte sich auf ihn, schlug auf ihn ein, riß an seinen Haaren, schrie.
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