Der Verehrer
ich bin mit Frau Behrenburg verabredet. In einer wirklich wichtigen Angelegenheit. Ich …«
»Frau Behrenburg ist nicht da!« Die Frau zog sich zurück und wollte das Fenster schon wieder schließen.
»Bitte«, sagte Lisa verzweifelt, »sie muß dasein!«
Die Frau lehnte sich wieder hinaus. Sie schien sehr ärgerlich.
»Wieso muß sie dasein? Sie ist nicht da, und damit basta! «
»Wir waren gestern schon verabredet. Um ein Uhr mittags. Ich bin extra aus München angereist. Ich habe mir hier ein Zimmer genommen, um es heute noch einmal zu versuchen. Ich … ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mich einfach vergessen hat!«
»Hm«, machte die Frau, »Frau Behrenburg ist eigentlich recht zuverlässig.«
»Eben. Diesen Eindruck hatte ich auch. Deshalb bin ich ja so besorgt.«
Die Frau gähnte, wobei sie den Mund ungeniert sperrangelweit aufriß, ohne die Hand davorzuhalten.
»Also, jedenfalls kann ich Ihnen da auch nicht weiterhelfen. Sie können ja da unten warten, vielleicht kommt sie im Laufe des Tages zurück.«
Sie schien das Fenster endgültig schließen zu wollen.
»Wohin kann sie denn gereist sein?« rief Lisa.
Die Frau gähnte wieder.
»Herrgott, woher soll ich das denn wissen? Ich habe nicht viel Kontakt zu Frau Behrenburg. Soweit ich weiß, hat sie keine Verwandten und Bekannten. Sie ist noch nie verreist.«
»Ja, sehen Sie, das ist doch merkwürdig, oder? Ich habe ein dummes Gefühl. Vielleicht ist sie gar nicht verreist. Manchmal stürzen Leute in ihren Wohnungen und liegen dann dort tagelang hilflos herum.«
Die Frau seufzte tief und übertrieben.
»Sie haben eine blühende Phantasie. Ich höre es deutlich und laut , wenn bei ihr geklingelt wird! Da würde ich wohl auch hören, wenn sie um Hilfe riefe, oder nicht?«
»Hat nicht irgend jemand im Haus einen Schlüssel zu ihrer Wohnung? Für den Fall, daß sie sich aussperrt oder so?«
»Ich habe den. Seitdem Frau Fabiani tot ist, habe ich einen Schlüssel.«
»Ach bitte«, Lisa legte alle Beschwörungskraft, derer sie fähig war, in ihre Stimme, »könnten wir nicht nachsehen, ob alles in Ordnung ist? Könnten wir nicht …«
»Also, das glauben Sie doch wohl selber nicht!«
Die Frau war jetzt hellwach und die personifizierte Entrüstung.
»Auf so etwas falle ich nicht herein! Vor Leuten wie Ihnen warnt ja immer die Polizei! Die mit allen Tricks versuchen, in die Wohnungen zu kommen und dann …«
»Einen Moment! Ich habe wirklich nichts Böses vor! Sie können doch auch allein in Frau Behrenburgs Wohnung gehen. Ich warte hier unten. Und wenn Sie mir dann durchs Fenster sagen, daß alles in Ordnung ist, verschwinde ich, und Sie müssen mich nie wiedersehen.«
Die Frau im Fenster seufzte erneut.
»Es ist Sonntag morgen. Es ist noch nicht einmal sieben Uhr. Ich würde wirklich gern einmal in der Woche ausschlafen, und da kommen Sie und …«
»Es kostet Sie fünf Minuten. Bitte! Wenn tatsächlich etwas nicht stimmt, dann verzeihen Sie es sich doch Ihr Leben lang nicht, daß Sie nichts unternommen haben.«
Dieses letzte Argument schien zu überzeugen. Die Frau verschwand aus dem Fenster, ließ es aber offenstehen, was darauf hindeutete, daß sie vorhatte zurückzukommen. Sicher würde es eine Weile dauern. Sie hatte nicht so gewirkt, als gehöre sie zu den Leuten, die sich besonders beeilten.
Lisa setzte sich auf eine der Stufen vor der Haustür. Nun, da sie wußte, jemand würde in Lydias Wohnung
nach dem Rechten sehen, fiel alle Anspannung von ihr ab. Auch das »dumme Gefühl«, das sie seit dem Vortag begleitet hatte, löste sich auf. Sie kam sich plötzlich nur noch lächerlich vor. Lydia Behrenburg hatte sie sicher einfach vergessen, weil die ganze Geschichte für sie keinerlei Bedeutung hatte. Sie machte irgendwo Ferien und lebte vergnügt in den Tag hinein, während eine unwillige Nachbarin in den frühen Morgenstunden eines sonnigen Sonntags ihre Wohnung durchstreifte.
Gerade als sie bei diesem Gedankengang angelangt war, hörte sie von oben einen Schrei, so markerschütternd, daß sie entsetzt aufsprang. Lydias Nachbarin lehnte sich so weit aus dem Fenster, daß ihre riesigen Brüste sie schon fast hinunterzuziehen drohten. Sie war krebsrot im Gesicht.
»Polizei!« schrie sie. »Polizei! Polizei!«
Sie hielt inne und starrte herab zu Lisa.
»O Gott, o Gott«, stammelte sie. »Rufen Sie die Polizei, Kind! Rufen Sie sofort die Polizei!«
»Dürfte ich mal Ihr Telefon benutzen?« fragte Lisa.
Kurz darauf ertönte der
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