Der Verehrer
mal verraten, was es sie angeht?«
Leona war inzwischen völlig ruhig geworden.
» Mich geht es etwas an«, sagte sie, »und ich will die Wahrheit wissen. Millie hat nicht gelogen, nicht wahr? Deine Freundin lebt. Sie ist nicht ertrunken. Sie hat dich vor nicht mal eineinhalb Jahren verlassen.«
Er blieb endlich stehen. Sein ganzer Körper bebte.
»Ja«, sagte er leise, »so ist es.«
»Warum? Warum denn nur? Warum?«
»Warum sie mich verlassen hat? Nun, sie …«
»Nein. Warum du mir diese grausige Geschichte erzählt hast. Ich verstehe das nicht.«
Er setzte zu einer langatmigen Erklärung an, verhedderte
sich in seinen Satzkonstruktionen, fing von vorn an, verhaspelte sich, faselte ohne jede Logik. Am Ende blieb für Leona nur die Erkenntnis, daß es keinen nachvollziehbaren Grund gab, weshalb er gelogen hatte.
Vielleicht, dachte sie, liegt es einfach in seinem Wesen. Er lügt um des Lügens willen. Wahrscheinlich lügt er mich auch wegen seines Geldes ständig an. Am Ende hat das Haus in Ronco, das er mir gezeigt hat, gar nicht seinen Eltern gehört. Kein Verkauf, keine Millionen. Ob sein Gerede von Italien stimmte, damals im Dezember, als er für über zwei Wochen wie vom Erdboden verschluckt war?
Sie seufzte tief, traurig und resigniert vor dem Gestrüpp von Unwahrheiten und Mißtrauen, das plötzlich zwischen ihnen wucherte und niemals mehr zu beschneiden sein würde. Es war aus. Es blieben ein Haufen Lügen und ein paar weitere tiefe Schrammen auf ihrer Seele.
Er hörte endlich auf zu reden.
»Verstehst du?« fragte er noch.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Er seufzte so tief wie sie eine Minute zuvor.
»Paß auf, ich ziehe mir etwas an. Dann gehen wir essen. Und reden über alles.«
»Wir gehen nicht essen«, sagte Leona, »und ich will auch nicht mehr reden. Ich packe meine Sachen. Morgen in aller Frühe fahre ich nach Hause.«
»Wir haben noch einen ganzen Tag!«
Es tat ihr weh, aber sie sagte mit fester Stimme: »Nein. Wir haben keinen Tag mehr. Nicht einen einzigen. Nie mehr.«
Er sah sie an, wirkte wie zerbrochen. Sie konnte den schmerzlichen Blick seiner schönen Augen nicht ertragen, wandte sich ab, ging ins Zimmer, setzte sich auf das Sofa, starrte auf den blinden, toten Fernsehschirm. Robert erschien
fünf Minuten später, er trug jetzt Jeans und einen schwarzen Rolli, ein graues Jackett darüber.
Nie wieder, dachte Leona, werde ich einen so schönen Mann haben.
»Ich muß ein Stück laufen«, sagte er, »ich nehme an, du kommst nicht mit?«
»Nein.«
Er drehte den Wohnungsschlüssel in seinen Händen.
»Es ist wirklich aus?« fragte er leise.
Sie sah ihn nicht an.
»Ja.«
Sein langsames Nicken konnte sie mehr ahnen als sehen. Sie hörte die schleppenden Schritte, mit denen er die Wohnung verließ.
Das Telefon klingelte erneut. Leona beachtete es nicht.
Das also ist das Ende, dachte sie.
II
1
Als erstes ging sie zum Friseur und ließ ihre Haare wieder raspelkurz schneiden. Sie nahm den Ring mit dem verschnörkelten R vom Finger, verzichtete jedoch darauf, irgend etwas Theatralisches damit zu tun, ihn etwa in den Main zu werfen. Sie packte ihn zuunterst in ihre Schmuck-schatulle und dachte kurz daran, wie sie eines Tages – sollte es ihr wider Erwarten noch gelingen, eine Familie zu gründen – ihren Enkeln von Robert erzählen würde.
»Er war kein schlechter Mensch«, würde sie sagen, »und damals war er für eine gewisse Zeit wohl auch wichtig für mich. Aber irgendwo war er einfach ein wenig verrückt. Er erzählte eigenartige Geschichten, und irgendwann wußte ich gar nicht mehr, was ich ihm glauben konnte und was nicht.«
Robert hatte es ihr überraschend leichtgemacht. Von dem Spaziergang nach der Auseinandersetzung war er ziemlich ruhig zurückgekommen, hatte sich ins Bad begeben, noch einmal geduscht. »Zur Entspannung«, wie er sagte. Leona, mit Packen beschäftigt, war überzeugt gewesen, er werde nun zu diskutieren anfangen, werde versuchen, sie von der Notwendigkeit, die Beziehung fortzusetzen, zu überzeugen. Sie hatte sich innerlich bereits gegen all seine Argumente gewappnet und war nun erleichtert, als diese ausblieben. Robert begann ebenfalls seine Sachen
zu packen, das Notwendigste, was er für zwei oder drei Tage brauchte.
»Ich kann doch mit dir nach Frankfurt fahren?« fragte er. »Und die Dinge abholen, die ich in deinem Haus habe?«
»Selbstverständlich. Das ist gar kein Problem.«
Es wurde auch kein Problem. Auf der ganzen Fahrt
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