Der Verehrer
Zeitangabe vertan«, meinte Nicole.
Wolfgang schüttelte den Kopf. »Lydia hat lange genug nachgedacht, um sicher zu sein, daß sie sich nicht geirrt hat. Und Jablonski – ich bitte dich! Wenn die eigene Lebensgefährtin stirbt, und dann noch auf so schreckliche Weise, dann kennt man das Datum. Man vergißt es nicht mehr für den Rest seines Lebens. Man vertut sich doch dabei
nicht um ein Jahr mehr oder weniger. Zumal dann, wenn die Geschichte noch keineswegs lange zurückliegt, keine zwanzig Jahre oder so. Nein, irgend etwas stimmt da nicht. Ich habe die ganze Woche überlegt, ob ich mich einmischen und Leona davon erzählen soll. Aber, Nicole, an dem Typ ist etwas faul, das rieche ich förmlich. Seit gestern habe ich mich nun um die Telefonnummer bemüht. Ich glaube, ich sollte anrufen.«
Nicole hatte sich Tee in einen großen Becher geschenkt. Sie hielt das Porzellan mit beiden Händen umklammert, als müsse sie sich daran wärmen. Sie lächelte traurig.
»Los«, sagte sie, »ruf Leona an. Ruf sie gleich an. Wenn du Glück hast, wird sie dir dafür einmal dankbar genug sein, um dir alles andere zu verzeihen.«
Das Telefon klingelte, als Leona die Tür zu Roberts Appartement aufschloß.
»Ich geh’ ran«, rief Robert aus der Küche, aber Leona sagte mit schneidender Stimme: »Nein. Laß es klingeln. Wir haben etwas zu besprechen.«
»Wir wollten doch jetzt an den See und später zum Essen gehen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das noch möchte.«
Er trat aus der Küche in die winzige Diele, trocknete sich dabei die Hände an einem Geschirrtuch ab. Zuvor hatte er offenbar geduscht; er war nackt, trug nur ein Badetuch um die Hüften geschlungen. Seine Haare waren naß.
»Ich bin in zwei Minuten angezogen. Dann können wir los. Was hast du denn so lange bei der Alten da unten gemacht? «
»Ich habe mich mit ihr unterhalten. Und etwas ziemlich Interessantes dabei erfahren.«
»Ja?« Er sah sie genauer an und verzog das Gesicht zu einem
Ausdruck der Bestürzung. »Du bist ja richtig wütend«, stellte er fest.
Dieser Satz reichte aus, um Leona explodieren zu lassen.
»Kannst du mir mal erklären, wie du mich so anlügen konntest?« schrie sie. »Was du dir dabei gedacht hast, mir eine so aberwitzige Geschichte zu erzählen und auch noch zu glauben, ich würde nie dahintersteigen?«
»Was denn?«
»Deine langjährige Freundin! Diese angeblich so tragisch im Lago Maggiore ertrunkene Freundin! Soll ich dir sagen, was mir Millie gerade erzählt hat? Sie ist überhaupt nicht verunglückt! Sie ist auch keineswegs tot! Sie hat dich ganz schlicht verlassen. Vorletztes Jahr im Dezember. Sie hat ihre Sachen gepackt und ist gegangen, nachdem es eine lautstarke Szene mit dir gegeben hat, bei der Millie schon dachte, ihr bringt euch gegenseitig um! Dann flog die Tür ins Schloß, und weg war sie!«
Robert starrte sie an. Um die Nase herum war seine Haut gelblich-weiß geworden.
»Leona …«
»Das ist pervers, Robert! Mir eine solche Geschichte zu erzählen! Ertrunken! Ich meine, wenn du nicht zugeben willst, daß sie dich verlassen hat, gut, das könnte ich irgendwo noch verstehen, obwohl du bei mir , der der Ehemann mit einer Geliebten durchgebrannt ist, weiß Gott keine Hemmungen hättest haben müssen. Aber okay, von mir aus, du meinst also, du mußt die Geschichte vertuschen! Warum hast du mir dann nicht erzählt, du hättest dich von ihr getrennt? Oder ihr wärt in beiderseitigem Einvernehmen auseinandergegangen, oder was weiß ich! Warum diese verrückte Geschichte mit ihrem Unfalltod? Warum?«
Er zuckte die Schultern.
»Ich weiß nicht.«
» Ich weiß nicht ist ein bißchen wenig, findest du nicht?«
Eine steile Falte bildete dich auf seiner Stirn.
»Mußt du das jetzt zum Anlaß nehmen, einen Streit vom Zaun zu brechen?«
»Ja – hältst du das für eine Lappalie?« fragte Leona verdattert zurück.
Das Telefon begann erneut zu klingeln.
»Also, das ist doch wirklich die Höhe!« sagte Robert. »Du glaubst dieser Millie offenbar jedes Wort, wenn sie nur ihr Maul aufmacht und mich bei dir anschwärzt!«
»Dann sag mir die Wahrheit. Hat Millie gelogen? Oder du?«
Wie ein Tier im Käfig begann Robert in der Diele umherzulaufen. Nun wurde er wütend. Er schimpfte auf Millie, nannte sie eine geschwätzige dumme Kuh, eine frustrierte alte Ziege, ein Waschweib, das nichts Besseres zu tun hatte, als seine lange Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken.
»Was geht sie das an? Kannst du mir
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