Der Verehrer
so daß seine Lippen ihr Ohr, nicht ihren Mund trafen.
»Ich bin früher gegangen. Ich habe Kopfweh«, erklärte sie.
»Das tut mir leid. Willst du dich hinlegen? Soll ich dir einen Tee machen?«
Er folgte ihr in die Küche und kam sich dabei vor wie ein Hund, der hinter seinem Frauchen hertrottet und eifrig mit dem Schwanz wedelt, weil er sich schuldbewußt fühlt und das nicht merken lassen will.
Nicole ließ ihre Tasche einfach in irgendeiner Ecke fallen und sank auf einen der Stühle am Küchentisch.
»Ein heißer Tee wäre genau das richtige«, sagte sie, »aber du solltest erst dein Telefonat erledigen. Du brennst doch sicher darauf.«
Ertappt, dachte er.
»Das eilt nicht«, murmelte er, während er hastig Wasser in den Kocher laufen ließ und Teeblätter in ein Sieb schüttete.
Nicole sah ihm eine Weile schweigend zu, dann sagte sie: »Tut mir leid, daß ich das Gespräch mit angehört habe. Ich wollte das nicht. Ich kam zufällig herein, und als erstes hörte ich schon wieder den Namen Leona. Ich blieb stehen und hörte mir auch den Rest an.«
Wolfgang erwiderte nichts. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
»Mir ist etwas klar geworden, als ich da draußen im Flur stand«, fuhr Nicole fort, »oder besser gesagt, ich habe mir endlich etwas eingestanden, was ich schon längst wußte: Mit dir und Leona, das hat im Grunde nie aufgehört. Und wahrscheinlich wird es auch nie aufhören. Was immer dich vor einem Jahr von ihr weg- und zu mir hingetrieben hat – es hatte nichts mit Liebe zu tun. Weder mit einer erloschenen Liebe zu ihr noch mit einer aufgeflammten Liebe zu mir.«
Er öffnete den Mund, um zu protestieren, schloß ihn aber gleich wieder. Alles, was er jetzt sagte, wäre eine Lüge.
»Du hattest ganz einfach eine vorgezogene Midlife-Krise, mein Schatz«, sagte Nicole. Das erregte Rot hatte ihre Wangen verlassen, sie waren jetzt fahl und bleich.
»Du bist ausgebrochen um des Ausbrechens willen, und nicht, weil du auf einmal in mir die große Liebe deines Lebens entdeckt hast. Wahrscheinlich war es einfach zu eingefahren zwischen dir und Leona, oder du hattest das Gefühl, ein paar versäumte Gelegenheiten aus deiner Jugend nachholen zu müssen. Am Ende aber kannst du einfach nicht lassen von ihr. Was du mit den schönen Begriffen Fürsorge und Verantwortung ummäntelst, ist in Wahrheit nichts anderes als Liebe. Du liebst Leona, und du solltest allmählich so fair sein, dir und mir darin nichts mehr vorzumachen. «
»Nicole …«
»Es war nicht so sehr das, was du sagtest gerade eben am Telefon. Es war die Art, wie du es sagtest. Deine Stimme … ich habe dich noch nie um etwas so bitten hören, wie um diese verdammte Telefonnummer. Als hinge dein Leben davon ab. Und irgendwie ist es auch so, nicht? Dein ganzes weiteres Leben hängt davon ab, ob du es schaffst, Leona diesen Kerl auszureden und sie für dich zurückzugewinnen. «
Er stand mit hängenden Armen, hängenden Schultern mitten in der Küche. Es gab nichts zu erwidern. Jedes ihrer Worte entsprach der Wahrheit.
Nicole stand auf, goß das inzwischen kochende Wasser selbst über die Teeblätter.
»Mir wäre es lieb, wenn du nicht länger hier bei mir wohnen würdest«, sagte sie, »jedenfalls so lange, bis du
weißt, was du wirklich willst. Falls du es nicht ohnehin schon weißt«, fügte sie hinzu.
Er nickte. »Möchtest du, daß ich gleich gehe?«
Sie lächelte. »Such dir eine Wohnung. Bis dahin kannst du bleiben.«
»Es tut mir so leid«, murmelte Wolfgang.
Nicole rührte im Tee herum. Das Wasser schwappte über den Rand der Kanne.
»Worum geht es eigentlich?« fragte sie leichthin.
»Was meinst du?«
»Na – weshalb du Leona unbedingt erreichen mußt. Worum geht es dabei?«
Es tat ihm gut, jemandem davon zu erzählen.
»Vielleicht ist es ganz unwichtig«, sagte er, »aber Lydia hat mich am letzten Sonntag angerufen und mir etwas Eigenartiges mitgeteilt. Du weißt schon, diese Freundin von der Selbstmörderin. Leona hat ihr erzählt, Robert Jablonski habe ihr gesagt, seine Freundin sei im Frühling vor zwei Jahren beim Segeln auf dem Lago Maggiore ertrunken. Lydia wußte nicht sofort, was ihr dabei seltsam erschien, aber nun ist es ihr eingefallen. Sie ist hundertprozentig sicher, Jablonskis Freundin noch im November vorletzten Jahres gesehen zu haben. Anläßlich eines Besuchs von Jablonski bei seiner Schwester. Die Freundin kann nicht seit zwei Jahren tot sein!«
»Vielleicht hat sich einer von beiden in der
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